Verantwortung übernehmen für Chancen auf Entscheidungsgewalt

von | 29.05.2017 | 0 Kommentare

Zum Abschluss dieser Interviewreihe habe ich die einzig wahre Nika Sachs einladen dürfen. Ich freue mich schon im Vorfeld auf ein Interview einer Person, die wie ich keinen Wert auf das Geschlecht eines Menschen legt, sondern Charakter, Identität und Arbeit in den Vordergrund stellt. Freut euch auf differenziertes Denken und eine faszinierende Interviewpartnerin.

Nika Sachs im Interview #Autorinnenzeit

Hallo Nika! Du bildest das Schlusslicht zu meiner Interviewreihe zur #Autorinnenzeit. Und ich freue mich ganz besonders, denn ich habe heute einen etwas besondereren Fragenkatalog für dich. Doch bevor wir dazu kommen, würde ich dich gerne dich unseren Lesern vorstellen lassen. Also: Man kennt dich vielleicht als Autorin der Novelle “Namenlos”. Wer bist du und was machst du? Was hat es mit Luc auf sich? Woran arbeitest du zur Zeit?

Hallo Kia, ich bin gerne dein Schlusslicht und gespannt auf deinen Fragenkatalog! Ich bin Künstlerin, Schreibmotivator und -coach, Bloggerin und Musikerin. Neben meinem kreativen Leben habe ich nach dem Abi eine Ausbildung im Bürowesen absolviert und lebe als gebürtige Frankfurterin mit meiner Familie unweit der Mainmetropole. die Novelle Namenlos habe ich letztes Jahr im Herbst über BoD veröffentlicht. sie war gar nicht als Printbuch, sondern als Sozialexperiment auf meinem Blog konzipiert. Das beschreibt auch ganz gut, was ich im literarischen Bereich mache: experimentieren.

Mein Hauptprojekt ist eine fünfteilige Serie über das Leben von Luc, der sich nach der Trennung seiner Freundin selbst verliert und wiederfindet. Ich schreibe generell am liebsten über soziale Interaktionen und die Resultate aus Hindernissen, die das Leben mit sich bringt. Derzeit überarbeite ich den zweiten Teil von Lucs Tagebüchern, damit ich ab September nur noch veröffentlichen muss und Zeit für meine Weiterbildung habe. Außerdem leite ich ein Anthologieprojekt und habe bis vor Kurzem ein Kinderbuch illustriert, das hoffentlich bald erscheint.

Woah, das sind tolle Projekte! Da passt ja meine nächste Frage wie die Faust aufs Auge. Als Mutter eines Kindes bist du bestimmt schon häufiger mit dem Begriff Powerfrau in Berührung gekommen. Wie empfindest du die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Leidenschaft als Autorin? Bleibt da etwas zu kurz, oder kriegst du alles gemanaged?

Das ist eine wichtige Frage, deren Antwort mich selbst am meisten beängstigt. nein, das ist fast gar nicht zu vereinbaren. Kreative Arbeit und die fachliche Auseinandersetzung damit brauchen viel Zeit. Die habe ich nicht und oft frage ich mich, wie ich in den letzten 2 Jahren 1.200 Seiten geschrieben und um die 50 Bilder gemalt habe. Ich empfinde den Drang nach Auseinandersetzung mit der Welt als Belastung, weil ich ihm immer nachgeben muss, aber ich liebe ihn auch. Eine echte Hassliebe. Genau genommen arbeite ich darauf hin, mir den Luxus erlauben zu können, nur noch meinen eigenen Zwängen zu folgen und nicht mehr denen des Angestelltendaseins. De facto schlafe ich unter 5 Std die Nacht und gehe fast nie aus. Mein Leben besteht, seitdem ich mich dazu entschlossen habe auszubrechen, nur noch aus Arbeit, Kind und Schlafmangel.

Wiebke Tillenburg sagte zum Thema Powerfrau in ihrem Interview, keine Frau könne alles alleine schaffen. Schaffst du das, bis der gewünschte Erfolg eintritt? Deine Meinung bitte!

Das Scheitern ist ein essenzieller Bestandteil des Erfolgs. Ich plane Rückschläge und Downs ein, weil ich weiß, dass ich nicht endlos belastbar bin. Aber es zeigt mir vor allem eins: nur ich kann mir den Wert geben, den ich mir wünsche. Es ist ein Lernprozess und ich werde immer besser darin, das Ziel langfristig zu konzipieren und zu pausieren, damit ich es auch erreiche.

Würdest du einer Leserin, die dieses Interview liest und sich wünscht, auch so kraftvoll und entschlossen wie du ihren Mann zu stehen, empfehlen, es einfach zu tun? Oder sich zunächst Rückhalt, Rücklagen, einen Partner o.ä. zu beschaffen?

Eben musste ich lachen, weil ich mich gefragt habe, ob ich meinen Mann oder meine Frau stehe. Ich stehe beides, weil es mir egal ist, ob ich Mann oder Frau bin. Ich bin in erster Linie Mensch, was mir nach 800 Seiten männlichem Protagonisten sehr deutlich wurde. Es gibt keinen Rückhalt. Wenn man mit Kreativität aufs Ganze geht muss man sich ein Ziel stecken. Das bedeutet, man muss die Reißleine ziehen können, wenn man Verpflichtungen hat, wie Familie. Ich hatte keine Wahl, es war kein romantischer Gedanke dabei, mal eben Schriftstellerin und Künstlerin zu werden. Ich kann wenig anderes, habe nach zehn Jahren Berufswelt begriffen, dass mich das vorgefertigste System durch meine autistischen Züge und die Synästhesie wahnsinnig macht. Nein, ich rate niemandem dazu. Schreiben und das Vermarkten von Ideen sind Tätigkeiten, die man nicht einfach in einer Ausbildung erlernt und deren Erfolg von vielen Faktoren abhängen. Support, Vitamin B, Talent und das Erspüren des Zeitgeistes sind nur ein paar davon. Kaum eine Branche ist härter, unsicherer und verlockender zugleich, als diese.

In den bisherigen Interviews hatte ich Autorinnen von Fantasy, Entwicklungsromanen, Dystopien, Gay Romance und auch Erotik dabei. Alles waren starke Frauen, die ihr Ding durchziehen und dafür stehen, dass Frauen mehr Beachtung brauchen in unserer Branche. Wie siehst du das? Braucht es Aktionen wie die Autorinnenzeit, um Autorinnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken?

Ja und nein. Das lässt sich nicht in ein paar Sätzen klären. Erst letzte Woche habe ich einen Artikel zum Thema Verantwortung der Buchbranche und Anleitung zu einer geistig gesunden Gesellschaft gepostet. Ich sehe das Hauptproblem in der fehlenden Selbstorganisation der Menschen an sich. Nur wer Verantwortung für seine Entscheidungen übernimmt, hat die Chance auf spätere Entscheidungsgewalt. Die ist meiner Meinung nach am besten gleichermaßen auf Mann und Frau verteilt, auch in der Buchbranche. Ich sehe separierte Frauenaktionen und Feminismus kritisch, sobald die sich nicht um Gleichberechtigung, sondern um Rache nehmenden Opportunismus zentrieren. Auch lustig: Feminismus, DER. Das ist es nämlich, eine Gleichstellung. Jede Frau hat männliches Anteile und jeder Mann weibliche. Wenn wir die Prioritäten der Wirtschaftlichkeit eines Buches weiterhin vor seine emotionale Aussage setzen und auf althergebrachte Verkaufsstrategien vertrauen, wird diese Gleichstellung auch in hundert Jahren noch nicht stattfinden. Der schlimmste Feind der Frau ist die Frau selbst. Frauen, die wirklich gute Bücher schreiben, geben sich ein männliches oder neutrales Pseudonym, damit sie bekannt werden und bedienen damit weiterhin die Abwärtsspirale. Nur ein Beispiel. Aber vielleicht denke ich zu langfristig und idealistisch. Ich könnte keinen Copy-Paste-Roman schreiben, der sich gelinde gesagt seicht und romantisch verklärend liest, damit ich davon leben kann. Wenn ich meiner Arbeit, meiner Kunst keine Symbolik gebe, kann ich auch für Geld putzen gehen. Das ist auch nur Technik und Handwerk ohne, dass ein geistiger Mehrwert bei rumkommen muss. genau das ist die große Stärke von Büchern, denn Lesen ist Denken und Denken ist Meinungsbildung und Bildung. Lesen ist zeitaufwendiger als ein Film und die Reflexion manifestiert sich ganz anders im Kopf, weil die Auseinandersetzung mit Text eine tiefer gehende ist. Ich bin nicht gegen Literatur ohne Bildungsfaktor, aber ich würde mir wünschen, dass der ein bisschen steigt. Vor allem in der “Frauenliteratur”, deren Begrifflichkeit ich schon scheußlich finde.

Wie wichtig ist dir die Geschlechtsidentität eines Menschen? Ich persönlich sehe mich nicht vollständig als Frau, aber auch nicht als Mann. Das beschreibe ich gerne mal mit “Mann im Kopf, Frau als Körper”. Hat das eine Daseinsberechtigung?

Mir geht es ähnlich. Geschlechtsidentität ist meiner Meinung nach das, was wir mit gesellschaftlich bedingten und verteilten Rollenbildern gleichsetzen. Ich bezeichne mich selbst als gender fluid, was bedeutet, dass ich mich als Frau und Mann wohlfühle, meine eigene sexuelle Wahrnehmung variabel ist. Ich mag meinen weiblichen Körper, würde aber auch super mit einem männlichen klar kommen. Ich verliebe mich in einem Menschen und nicht in sein Geschlecht, was aber unabhängig von körperlichen Vorlieben ist. Jeder sexuelle Mensch hat diese. Was bedeutet das für die Gesellschaft, wenn mehr Menschen von diesem Rollenbild abweichen, als angenommen? Vielleicht war das immer schon so und wird erst heute offener angesprochen. Was uns Menschen fehlt, ist die Empathie und das Eingeständnis, dass wir uns abgrenzen wollen, um Kontrolle zu haben. Wenn wir besser und vorurteilsfreier kommunizieren würden, könnten wir die Eigenheiten von Mann und Frau besser vereinbaren und nutzen, anstatt sie zu benutzen.

Ich habe bisher häufig die Frage gestellt, wie sich mein Interviewpartner die Zukunft der Branche vorstellt, was die Präsens von Autorinnen in tiefgreifender, bedeutsamer Literatur angeht. Von dir würde ich gerne zunächst wissen, ob dich überhaupt interessiert, ob nun mehr Frauen oder Männer den Literaturnobelpreis gewonnen haben, ob es relevant ist, dass in der Schule fast ausschließlich Bücher von männlichen Schriftstellern gelesen werden etc.

Es sollte uns nicht interessieren. Gib mir ein Buch ohne Cover und ich sage dir danach, ob mir die Geschichte gefällt oder nicht. Warum? Weil ich mich selbst darauf konditioniere, Unterschiede festzumachen und zu analysieren, wenn ich es weiß. Das versaut mir die Meinung dazu. Was ist bedeutsame, tiefgehende Literatur? Vielleicht genau das: Die Fähigkeit, sich in etwas hineinzuversetzen, das man selbst nicht ist. Als Frau über Frauen zu schreiben fand ich einfältig und über Männer zu schreiben klischeehaft. Irgendwas muss als Thema eben her, alles hat ein gewisses Klischee. Also habe ich mir das Ziel gesetzt, Klischees zu erfüllen und gleichzeitig zu brechen. Das wünsche ich mir generell mehr von der Buchbranche. Diversität.

Wie siehst du die Zukunft der Geschlechteridentitäten? Werden wir irgendwann antisexistisch auf Menschen blicken und in Autoren schlichtweg geschichtenerzählende Künstler sehen? Oder wird es immer eine Differenzierung von Autorin und Autor geben, die über den sprachlichen Gebrauch hinausgeht?

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ich sag es mal so: vor zweitausend Jahren gab es bereits Kulturen, in denen Sexualität in gewisser Sicht toleranter gehandelt wurde als heute. Gesellschaft verändert sich laufend, es ist schwer abzusehen, ob und wie sich das in Bezug auf Geschlechteridentität entwickelt. Das Schwierige dabei ist die Pauschalisierung des Menschen auf ein rein begriffliches Neutrum, das ja nicht jeder sein möchte. Wie geht man also respektvoll mit Identität und der Form um, in der sie allgemein kommuniziert werden soll? Alles zu einem Es zu machen, damit wir mit Sie und Er keinem auf die Füße treten, ist meiner Meinung nach der falsche Ansatz. Der Respekt vor dem Menschen ist nicht allein durch Sprache zu schaffen, sondern durch Handlung. Und die ist noch viel wichtiger. Alles andere ist Symptombekämpfung.

Wie glaubst du, würde die Welt reagieren, wenn wir ab Juni die Aktion #Autorenzeit haben und männliche Autoren pushen würden? Gäbe es ebenso viel Akzeptanz und Tatkräftigkeit, oder würde Twitter durch feministische “ungerecht!”-Aufschreien explodieren?

Ich persönlich verbinde das Wort Autorenzeit zum Beispiel nicht sofort mit einem männlichen Autor. Demnach würde es wohl an mir vorbeigehen, dass es hierbei explizit um die männlichen Schriftsteller geht. Ich sehe mich aber auch nicht als aufschreiende Emanze, die sich ungerecht behandelt fühlt, weil sie so schwach ist. Ich finde es toll, auf eine bestimmte Gruppe Menschen aufmerksam zu machen, die etwas besonders kann. Aber kann ich was besonders gut, nur weil ich eine Frau oder ein Mann bin? Ich rechne damit, dass sich diese Frage kaum einer stellt. Und deshalb weiß es ehrlich gesagt nicht, ob es einen Aufschrei geben wird.

Bevor ich dich jetzt zum Ende zum Fazit befrage, beantworte unseren Lesern doch kurz Folgendes: Du hast eingangs erwähnt, dass du Schreibmotivator und -coach bist. Wie kann man dich buchen?

Man kann mich einfach auf Twitter oder per E-Mail anschreiben und mir das Herz ausschütten. Manchmal kann ich helfen und Tipps geben, einen vertraulichen Blick auf Ideen, Texte und kreative Sorgen werfen oder mit an andere Leute vermitteln, die weiterhelfen können. Ich arbeite unkonventionell und tausche Kritikfähigkeit sowie eine faire und konstruktive Zusammenarbeit gegen Spaß am gemeinsamen Umsetzen von Zielen und einen fairen Preis meiner Hilfestellung.

Danke dir für diese Info! Das wird dem ein oder anderen Leser hoffentlich Mut zum ersten Kontaktversuch geben. Damit sind wir am Ende (des Interviews 😉 ). Hast du ein Fazit für unsere Leser? Möchtest du noch etwas sagen?

Orientiert euch an denen, die euch mitreißen und sagen, was ihr sein könnt und nicht an denen, die euch sagen, was ihr nicht seid und nicht könnt. Selbstvertrauen und Scheitern gehören zusammen! Das ist mir letztens im Gespräch mit einer sehr talentierten jungen Autorin bewusst geworden.

Vielen Dank für das inspirierende Interview! Ich hatte sehr viel Spaß dabei, dich auszufragen und bin dankbar für die Einblicke und Perspektiven, die du mir und den Lesern gegeben hast. Damit schließe ich diese Interviewreihe und kann gar nicht oft genug sagen, wie sehr ihr Autorinnen mich bereichert habt. Tausend Dank, liebe Nika!

2016-12-19_15-28-33Nika Sachs lebt mit ihrer Familie unweit ihres Geburtsortes in Frankfurt am Main. Die Autorin schreibt über das Unkonventionelle und Komische und betreibt den Blog “Bordsteinprosa”.

Twitter: @Bordsteinprosa
Twitter: @NikaSachs
Blog: bordsteinprosa.blogspot.com

Nikas Novelle “Namenlos” ist für 15,99 € als Hardcover-Buch bei Amazon* erhältlich.

Ich bedanke mich bei allen Interviewpartnerinnen für die tollen Gespräche im Rahmen der Reihe “Kia fragt” im Rahmen der #Autorinnenzeit. Dieses Projekt hat mir gezeigt, dass ich mit Interviews weitermachen will und werde. Seid also gespannt, wer sich als nächstes meinen Fragen stellt!

Alles Liebe,

Kia



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