Darf ich Stephen King widersprechen?

von | 21.09.2017 | 4 Kommentare

Er hat es geschafft. Ein Gott der Buchbranche ist der Schriftsteller, der heute siebzig wird, schon seit Ewigkeiten. Wer 400 Millionen Bücher verkauft hat, weiß, wie es geht. Also habe ich “Das Leben und das Schreiben” (Originaltitel: „On Writing: A Memoir of the Craft“) gelesen.

In den Abschnitten “Was schreiben ist”, “Der Werkzeugkasten” und “Über das Schreiben”, konkret zwischen den Seiten 127 und 308, erhält der Leser einige Tipps, die ihn beim Schreiben weiterbringen können. Meine Betonung liegt hier auf können. Denn mit einigen Tipps gehe ich nicht konform, will Stephen King widersprechen. So wie ich den Herrn einschätze, darf man ihm gerne widersprechen, aber wenn man darüber bloggt, ist nicht die Frage, was King akzeptieren und annehmen würde, sondern welch hohe Wellen meine Leser schlagen, die das hier zu Gesicht bekommen.

Also möchte ich hier meine fünf Kritikpunkte offenbaren und dabei gleichzeitig einen Teil meiner Klebezettelstrategie offenbaren. In diesem Sinne: Happy Birthday, Stephen King!

 

“Die beste Art und Weise, wörtliche Rede einzuleiten, lautet sagte wie in er sagte, sie sagte, Bill sagte, Monica sagte. […] [McMurtry] glaubt selbst in Augenblicken des emotionalen Notstands (…) an »sagte er« / »sagte sie«

Stephen King, “Das Leben und das Schreiben”, Wilhelm Heyne Verlag München, S. 155f

King führt Beispiele an, die er zum Fußnägelhochkrempeln findet. Wörtliche Rede mit Begleitsätzen wie “…, keuchte er” oder “…, brach aus ihr heraus” zu bestücken, empfindet der in Portland geborene Autor als allerunterste Schublade. Und das im wahrsten Sinne, befinden wir uns doch im Kapitel “Der Werkzeugkasten” dieses Buches.
Sollen wir Autoren wirklich ständig das Wort “sagen” verwenden?

Ist es nicht einer der größten Kritikpunkte, den ein Text erhalten kann, wenn man immerzu “sagen” sagt? Wenn wir zwei Menschen miteinander sprechen lassen und uns weitestgehend auf sagen beschränken, wird der Leser meiner Meinung nach unterschätzt.

Sind zwei Figuren gerade beim wilden Sex zugange und beginnen dabei eine Unterhaltung, und sei es auch bloß über die Einkaufsliste für den nächsten Tag, so keucht man die Worte. Oder man bringt sie unter Stöhnen heraus. Doch wenn man sie sagt, dann verliert meiner Meinung nach die Szene ihren Zusammenhang.
Autoren müssen Mut zur Lücke haben – das sollte jedem von uns klar sein. Zwischen den Zeilen geschieht das Kopfkino. Und ich gebe Stephen King gerne recht, wenn er sagt, dass sagen Raum zur Interpretation der Art und Weise, wie es gesagt wird, lässt. Aber es weder mit Adverbien zu strecken, noch durch steroidgeschwängerte Verben wie keuchen, knirschen oder hervorbrechen zu verstärken, erscheint mir auf Dauer als gefährlich.

Doch das ist nicht die einzige Sache, die mich an Kings Methoden gestört hat. Eine weitere Stelle lässt mir die Haare zu Berge stehen:

“Ich bin der Meinung, dass nicht der Satz, sondern der Absatz die kleinste Einheit eines Textes darstellt., in der Kohärenz entsteht und Wörter die chance haben, über sich hinauszuwachsen. Wenn es Zeit wird, das Tempo zu erhöhen, geschieht das auf Absatzebene.”

Stephen King, “Das Leben und das Schreiben”, Wilhelm Heyne Verlag München, S. 165

Was ist mit Staccato und Legato?
Soll ich vergessen, was ich darüber gelernt habe?
Nein.
Lange, beschreibende Sätze verlangsamen den Lesefluss. Kurze, abgehackte Sätze sorgen dafür, dass Spannung aufgebaut und der Lesefluss beschleunigt wird. Warum ignoriert King hier den Satz als die kleinste Einheit?

Ich weiß es nicht. An dieser Stelle des Buches entschied ich mich übrigens, diesen Blogartikel zu schreiben. Ich will gerne von einem großen Schriftsteller lernen und bin begeistert von dem, was er geschaffen hat. Was er mir durch dieses Buch telepathisch und ohne Abhängigkeit von Ort und Zeit in den Kopf setzt. Für jeden Tipp (wobei ich das Wort Tipp furchtbar unpassend finde, denn die Anregungen sind größer als das) bin ich dankbar.

Dennoch will ich hier in einer Übersicht auf meine roten Klebis eingehen. Es geht dabei um fünf Kritikpunkte, die ich in “Das Schreiben und das Leben” gefunden habe:

rote_klebis

sagen (Seite 155f): siehe oben

Absatz (Seite 165): siehe oben

Plotschema (Seite 200): Ein Plotschema ist laut Stephen King die letzte Zuflucht des guten Schriftstellers und die erste Wahl des Einfallspinsels. Eine solche Geschichte könne nur konstruiert klingen.

Auf eine gewisse Art und Weise fühle ich mich King hier verbunden. Ich kann nicht plotten, beziehungsweise versaue ich mir die besten Ideen durch ein Plotschema. Dennoch habe ich respekt vor Plottern, die ihre Geschichten vorab durchplanen und gezielt an ihre Seiten herangehen. Mein aktuelles Manuskript habe ich mit einem Plotschema erstellt. Das hat der Verlag verlangt, da dieser ohne Exposé, Plot und Leseprobe natürlich keinen Vertrag unterschreiben würde. Und es fällt mir enorm schwer zu schreiben. Dennoch wird das Buch, das ich gerade schreibe, um Längen besser als “Die Krankheitensammlerin”. Heute würde ich mein Erstlingswerk übrigens nichtmal mehr als gut bezeichnen, so sehr habe ich mich weiterentwickelt. Plotten ist für mich so etwas wie ein Autorengeschlecht. Wo es im Gesellschaftlichen und Biologischen hauptsächlich Männlein und Weiblein gibt, gibt es unter Schriftstellern Plotter und Discovery Writer. Plotter sind meiner Meinung nach nicht sofort Einfallspinsel.

Der Fehler: Dieses Klebi ist rot und oben. Das sind immer Rechtschreib- und Tippfehler, meistens tatsächlich Kommafehler. Das ist eine Angewohnheit, die bei den zahlreichen Selfpublisher-Büchern, die ich gelesen habe, eine gewisse Quote gezeigt hat. Selfpublisher haben mehr Fehler. In “Das Leben und das Schreiben” kam nur Jahrtauesndwende auf Seite 219 vor. Mehr Fehler haben mich nicht angesprungen.

in medias res (Seite 277): in medias res heißt “mitten rein” und ist eine uralte, ehrbare Technik, um eine Geschichte zu beginnen. Stephen King gefällt diese Methode nicht.

Hier widerspreche ich Stephen King nicht direkt, aber ich bin anderer Meinung. Ich kann kein ad ovo schreiben und finde Belletristik, die ad ovo beginnt, meistens nicht so spannend. Vielmehr finde ich sie frustrierend, weil Geschichten, die sich von Anfang an aufbauen und durch ein einschneidendes Ereignis erst in Fahrt kommen, bei mir einfach nicht so gut ankommen. Sie haben eine Art “falsche Versprechung” für mich. Auch hier gilt: Jedem seine Meinung. Ich steh’ auf in medias res und kann ad ovo weder schreiben, noch lese ich es gern.

Seminare (Seite 291): “Schreibseminare oder -unterricht braucht man genauso wenig wie dieses Buch oder jedes andere übers Schreiben”, sagt Stephen King. Er fährt auf der folgenden Seite fort und geht auf Folgendes ein: “Diskussionen in Schreibseminaren können oft intellektuell und anregend sein und großen Spaß machen, aber genauso oft schweifen sie viel zu weit vom handfesten Alltagsgeschäft des Schreibens ab.” Meine Meinung dazu? Joa und nö. Einzelfall. Ich bin unsicher, was ich hier schreiben soll. Pauschal sagen lässt sich hier wenig, aber im Allgemeinen stehe ich auch überhaupt nicht auf unkonstruktive Kritik und das romantische Gelaber, das man so manchmal mitbekommt. Den Schreibratgeber von Stephen King fand ich sehr hilfreich.

 

Ich widerspreche also Stephen King in einigen wenigen Punkten. Damit feinde ich keine Religion an, sondern zeige lediglich Punkte auf, die mir nicht passen.
Darf ich glauben, es besser zu wissen? Als jemand Kleines ohne nachweisbare Erfolge?

Da wir hier im Internet sind, müssten sich unter diesen Blogartikel erfahrungsgemäß Kommentare einreihen wie: “Du glaubst, du weißt es besser, hast aber noch nicht ein einziges Buch in dieser Qualität geschrieben” oder “wenn man es nicht besser kann, sollte man die Fresse halten” oder “Wie kannst du es wagen, Stephen King zu kritisieren? Mach es doch besser!”.

Also mache ich jetzt etwas ganz Fieses. Ich lasse das Fazit offen. Das Fazit steht in den Kommentaren und du kannst es mitgestalten.

Habe ich das Recht, die Schreibmethoden, die King hier vorgestellt hat, aus meiner Perspektive heraus zu kritisieren und als nicht zutreffend zu bezeichnen?
Und was hältst du davon, dass King “sagen” als liebstes Verb für die wörtliche Rede und Absätze als die kürzeste Einheit betrachtet?

Lass’ es mich gerne in den Kommentaren wissen. Wie gesagt: Bilde das Fazit!

Alles Liebe,

Kia



4 Kommentare

  1. Elyseo da Silva

    Liebe Kia,

    selbstverständlich darfst Du jedem widersprechen, auch Stephen King. Gerade die Dogmatik, die oft unter den sogenannten Schreibratgebern herrscht, kotzt mich regelrecht an.
    Ich habe King’s Buch auch gelesen – und in der Tat, seither benutze ich wesentlich häufiger sagen, um meine direkte Rede ein- oder auszuleiten.
    So absolut allerdings verstehe ich es dann auch wieder nicht. Was ich für mich aus dieser Empfehlung gezogen habe, ist, dass ich als Schreiber oftmals überdramatisiere. Da ist weniger oft mehr – und insofern genügt es häufig, die Figuren Dinge “sagen” zu lassen, die sie tatsächlich nur sagen, und mir die anderen Verben für Situationen aufzusparen, die eine dramatischere Beschreibung auch wirklich rechtfertigen. Auf diese Art angewandt habe ich das Gefühl, dass meine Texte eher profitieren, als dass es ihn schadet.

    Und so zum Abschluss: dass Stephen King den Plottern eins reinwürgt, hat mich persönlich gefreut, da die Dogmatik gerade im Bereich “Wer nicht plottet, wird nichts” schon x-Mal zum Wahnsinn zu treiben drohte.

    Sei gegrüßt – mit meinem Aspekt des gemeinsamen Fazits!
    Elyseo

    Antworten
    • Kia Kahawa

      Hi Elyseo,
      danke für deinen Kommentar.
      Gerade das “Wer nicht plottet, wird nichts” hat mich übrigens auch in die Problematik geführt, die ich aktuell mit meinem Manuskript habe. Weil ich sehr engmaschig plotten musste. Ich habe beim Schreiben der entsprechenden Stelle im Blogartikel übrigens an das Mosaik gedacht und daran, dass du das ganze entdeckend geschrieben hast. Das bleibt im Kopf! 🙂
      Liebe Grüße
      Kia

      Antworten
  2. Wiebke Tillenburg

    Liebe Kia,

    ich denke, du darfst auf jeden Fall widersprechen.
    Schreiben ist eine sehr individuelle Angelegenheit und da liegt meiner Meinung nach auch der Haken bei Schreibratgebern im Allgemeinen. Ich halte nicht viel von Ratgebern und suche mir auch bei sogenannten “Schreibtipps” nur solche aus, die mir wirklich hilfreich und zu meiner Herangehensweise passend erscheinen.
    Die wörtliche Rede leite ich persönlich nicht nur durch “sagte” ein, da mich beim Lesen mangelnde Abwechslung stört. Ich hatte einen Fall, in dem sogar Fragen, mit “sagte” eingeleitet wurden. Das Buch habe ich letztlich abgebrochen.
    Plotten ist ein gutes Beispiel für individuelle Herangehensweisen und den Wert allgemeingültiger Ratschläge. Es gibt Autoren die nicht auf das Plotten verzichten können und solche denen es davor graust (mir zum Beispiel) und beide Herangehensweisen können gleichermaßen zum Erfolg führen.
    Lange Rede, kurzer Sinn: Widersprechen ist super, solange es gut durchdacht ist, ganz gleich wem widersprochen wird. 😉

    Antworten
  3. Jutta

    Hi Kia,
    ehrlich, widersprechen kann und sollte man immer, wenn es einem nicht passt, was ein anderer ausspricht oder schreibt.
    Seit September 2012 schreibe ich und am Anfang musste ich feststellen, dass ich viel zu wenig Wissen habe, um tatsächlich “erfolgreich” schreiben zu können. Deshalb fing ich im Herbst 2013 an, die Schreibwerkstatt zu besuchen. Da mir das nicht reichte und ich mehr lernen wollte, startete ich im August 2014 mit dem Studium “Autor werden … professionell schreiben lernen” bei der Studiengemeinschaft-Darmstadt. Damit will ich, so hoffe ich, bald zum Abschluss kommen.
    Stephen King hat dieses Buch 2000 veröffentlicht. Zu einer Zeit, als ich ans Schreiben keine Gedanken hatte. Um ehrlich zu sein, ich müsste es nochmals lesen, ehe ich mich hier verzettle.
    Was ich bisher gelernt habe ist, dass man täglich schreiben sollte, nicht nur um im Fluss zu bleiben, nein, damit man sich von Tag zu Tag verbessern kann, was Ausdruck, Stil, Rechtschreibung usw. angeht. Dem stimme ich absolut zu. Leider kann ich das nicht immerzu einhalten. Lesen bereichert nicht nur den Geist, sondern schult das Auge, das dem Gehirn viele Informationen weitergibt, die die Schreibkunst ausbauen.
    Ratgeber habe ich viele in meinem Regal zu stehen, um genau zu sein, es müssten um die 30 oder mehr sein. Alle haben sie ihre Berechtigung. Jede und jeder, der einen Schreibratgeber verfasst hat, schreibt dies aus seinen Erfahrungswerten heraus. Demzufolge, gebe ich Mr. King in allem Recht, was er niedergeschrieben hat.
    Es mag ein merkwürdiges Fazit sein, das ich auf deinen Artikel gebe, aber ich will dir von meinen Erfahrungen was mitgeben, denn ich altes Huhn, kann von dir, oder all den anderen lernen, ebenso den Ratgebern aller Autorinnen und Autoren.
    Die Welt des Schreibens ist eine kostbar und die Zeit, die wir dafür aufwenden wird viel zu arg unterschätzt … oder, wie siehst du das?

    Ich wünsche dir bei deinem aktuellen Projekt viel Spaß, Freude und gutes Gelingen!

    Liebe Federgrüße
    Jutta

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