Morgenröte – #24Autoren mit M. D. Grand

von | 11.12.2017 | 0 Kommentare

Lügen, Intrigen und eine aufkeimende Revolte – das Schicksal der Südlichen Lande geht in die dritte Runde! (Coming Soon: Das Schicksal der Südlichen Lande 3)

Morgenröte

„Eure Majestät“, der kleinere der beiden Leibwächter musterte mich aus besorgten Augen.
„Hauptmann.“ Ich hätte ihm gerne ein Lächeln geschenkt, doch dafür fehlte mir die Kraft.
Er löste eine der Fackeln aus der Mauer. „Erlaubt uns, Euch zu begleiten?“
„Natürlich.“ Ich nickte ihnen zu und schritt voran, ohne mich noch einmal umzusehen. Wir spielten dieses Spiel jede Nacht, Tiara und ich, ich und die Leibwächter, manchmal im Morgengrauen, manchmal im strahlenden Licht des Mondes und mehr als diese paar Worte wechselten wir selten.
Schweigend verließen wir den Flügel der Königin und nahmen die Stufen nach unten, wobei unsere Schritte genauso verloren von den Wänden des Palastes wiederhallten, wie ich mich fühlte. Ich mochte die Ruhe der Dunkelheit, die weiten, menschenleeren Flure, die Schatten, die die flackernden Fackeln an die Wände warfen. Die Einsamkeit hatte etwas Tröstliches.
„Es ziemt sich nicht für eine Königin“, tönte es plötzlich kalt und schneidend aus den Schatten eines Zimmers, „Nacht für Nacht zu verschwinden.“
Ich zuckte erschrocken zusammen.
Tamir. Ich hörte an seiner Stimme, dass er wieder getrunken hatte.
Ich blieb stehen und wandte mich der Dunkelheit zu, hinter der er sich versteckte. „Was willst du.“
Ich hatte seit Tagen nicht mehr mit ihm gesprochen.
„Was ich will? Ich möchte mich mit meiner Frau unterhalten, das ist alles. Ist das ungewöhnlich?“ Er lachte leise.
Ich antwortete nicht, verharrte regungslos im Gang, suchte in mir nach Wut oder Angst, etwas, das ich ihm hätte entgegen schleudern können, doch da war nichts. Nur Leere in mir.
Etwas knarrte in der Finsternis. „Soldat. Die Fackel.“
Der Hauptmann warf mir einen fragenden Blick zu, doch ich reagierte nicht, also kam er der Aufforderung widerwillig nach.
„Sieh mich an“, drang Tamirs schneidender Befehl an mein Ohr und als ich mich noch immer nicht bewegte, donnerte er sein Glas auf den Tisch. „Du sollst mich ansehen, habe ich gesagt!“
Ich spürte die Wut, die seine Stimme lauter werden ließ, doch sein Zorn prallte an mir ab. Dennoch hob ich langsam den Blick und musterte ihn ausdruckslos. Er saß an einem schmalen Tisch wie eine sprungbereite Katze, eine durchsichtige Kristallflasche vor sich auf dem Tisch, deren bräunliche Flüssigkeit bereits bis auf den Bodensatz geleert war. Seine Augen lagen tief in den Schatten und sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel aufkommen, wie es um seine Stimmung stand. War dies wirklich der Mann, den ich geheiratet hatte?
„Komm her.“
„Ich denke, ihre Majestät möchte nicht…“
„Ihre Majestät“, unterbrach Tamir den Hauptmann, der sich schützend vor mich gestellt hatte, und hob spöttisch die Augenbrauen, „kann für sich selbst sprechen, denke ich.“
Ich warf ihm einen kalten Blick zu. „Sprich nicht so mit meinen Soldaten.“
„Seht ihr?“ Er grinste höhnisch, dann lehnte er sich wieder zurück. „Und jetzt schick deine Leibwache fort, Majestät.“
„Eure Majestät“, der Hauptmann trat näher an mich heran und musterte mich besorgt, „ich halte das für keine kluge Idee.“
„Keine kluge Idee?“, höhnte Tamir herablassend und nippte wieder an dem schweren Glas, in dem noch ein paar einsame Tropfen des Branntweins umher schwappten. „Ich bin ihr Mann, Soldat, und ihr König. Wenn Ihr an Eurem Leben hängt, dann haltet Ihr besser den Mund.“
„Schon gut, Hauptmann.“ Ich nickte ihm zu, die Augen fest auf Tamir gerichtet. „Tut, was er sagt.“
Er zögerte sichtlich, dann verneigte er sich. „Wie Ihr wünscht, Majestät. Wir warten draußen auf Euch. Und falls irgendetwas sein sollte…“
„Ich weiß.“
„Eure Sorge ist wirklich rührend.“ Tamir lachte abfällig in sein Glas und murmelte noch etwas Unverständliches, während der Hauptmann die Fackel in eine Halterung im Innenraum hängte.
Ich folgte ihm erhobenen Hauptes in das Halbdunkel, wartete, bis er die Türe hinter sich geschlossen hatte, und verschränkte die Arme vor der Brust, um das Loch zu schützen, welches Leams Tod gerissen hatte. „Was willst du.“
„Das sagte ich doch.“ Tamir erhob sich mit einem leichten Schwanken und breitete die Arme aus. Seine linke Hand umklammerte etwas Kleines, das ich im dämmrigen Licht nicht erkennen konnte, ein schmales Lederband war um seine Finger geschlungen. „Ich will mit meiner Frau sprechen, nichts weiter.“
Er ging ein paar Schritte auf mich zu, bis er direkt vor mir stand, dann grinste er mich an. Mir schlug der Geruch von Schweiß und Branntwein entgegen, seine Augen waren blutunterlaufen vom Alkohol.
Ich verzog die Lippen. „Wir können uns unterhalten, wenn du wieder klar bist.“
„Glaub mir, ich war noch nie so klar wie jetzt, meine Liebe“, säuselte er gefährlich leise. „Ich hatte lange genug Zeit, um nachzudenken.“
Er streckte seine rechte Hand aus und strich mit seinen Fingern langsam über meinen Hals. Ich versteifte mich bei der Berührung und wandte den Blick ab.
„Avandoria hat wahrlich eine schöne Königin“, sagte er und lächelte dabei fast schon verklärt. „Warst schon so schön, als ich dich das erste Mal gesehen habe, damals im Wald. Erinnerst du dich noch?“ Er wartete nicht, was ich sagte, sondern beugte sich näher und legte seinen Kopf an meine Wange. Ich tat einen Schritt zurück, doch seine Finger umschlossen mein Kinn und zwangen mich so, stillzuhalten.
„Ich habe dich geliebt, Velia, weißt du das?“, flüsterte er, nun ganz nahe. „Verstehst du? Ich habe dich geliebt! Und du? Hast du mich auch geliebt?“
„Du bist betrunken, Tamir. Geh ins Bett.“ Ich schaffte es, mich ein Stück von ihm fort zu lehnen.
„Betrunken?“ Er lachte. „Vielleicht bin ich das. Aber das ändert nichts, nicht wahr?“ Mit einem Schlag wurde er wieder ernst, gab mein Kinn abrupt los und sah mich an. „Ich will es hören.“
Er legte seine Hände an meine Schultern, die linke umklammerte immer noch dieses Etwas. „Ich will es hören, Velia. Ich will hören, dass du mich geliebt hast. Sag mir, dass du mich geliebt hast und alles kann wieder wie früher werden.“
„Nichts kann wie früher werden.“
„Doch.“ Seine Augen schimmerten glasig, seine Stimme klang drängend, verzweifelt. „Doch, ich kann dich wieder lieben, so wie früher, das weiß ich.“
„Worte. Nichts als leere Hüllen.“ In diesem Moment empfand ich nichts als Hass für ihn. „Erzähl das deinen Huren.“
Ich riss mich los, doch seine Reflexe waren erstaunlich schnell, seine Finger bekamen mich zu fassen, ehe ich ihm entgleiten konnte, packten mein Handgelenk, schlossen sich fester darum, bis sich seine Nägel in mein Fleisch gruben. Er riss mich zu sich herum und ich sah das Leuchten des Wahns in seinen Augen.
„Du bist die Hure! Du!“, schrie er mir entgegen und seine Stimme überschlug sich fast. „Ich weiß, dass du mich nie geliebt hast! Du hast dich von ihm vögeln lassen, von diesem Dieb, diesem widerwärtigen, armseligen, dreckigen Abschaum aus der Gosse. Von Anfang an! Wie eine verdammte Hure!“ Er holte aus, sein Handrücken schnellte vor, die Kraft seines Schlages traf mich mit voller Wucht. Der Schmerz explodierte in meinem Kopf, machte mich halb besinnungslos, ich wusste, ich taumelte, doch ich fühlte nichts. Ich schmeckte Blut auf meinen Lippen.
„Er ist tot! Tot, verstehst du?“ Er holte noch einmal aus und ich zuckte zusammen, doch diesmal schlug er mich nicht, sondern schleuderte mir etwas entgegen, das, was er die ganze Zeit schon umklammert gehalten hatte. „Hier!“, schrie er. „Hier hast du die armseligen Reste, alles was von deinem Liebhaber jetzt noch übrig ist“, brüllte er, während meine Finger, die das metallisch glänzende Ding gefangen hatten, sich zitternd öffneten. Da lag er, ein einfacher Anhänger an einer ledernen Schnur, silbern glänzend mit einem tiefen, geschwungenen Relief. Ein Versprechen der sicheren Heimkehr. Ein magisches Symbol. Leam.
Mein Herz setzte aus.
„Woher hast du das.“
„Ja, du erkennst es, nicht wahr?“ Ein triumphales, bitteres Lachen entrang sich seiner Kehle. „Einer der Soldaten hat es vor Kartuna aus dem Fluss gezogen. Und jetzt, wo er tot ist, gehörst du mir! Mir, hörst du?“, tobte Tamir weiter, doch seine Worte hallten wie von fern in meinem Kopf wieder, erreichten mich nicht. „Du wirst vor mir auf den Knien sein und meine Stiefel polieren, wenn ich es so will und mit mir das Bett teilen, du wirst Kinder gebären und mich verdammt noch mal lieben, wie es sich für eine Frau gehört!“
Er packte mich fest an der Schulter, zwang mich, den Blick von dem Anhänger zu lösen und schrie mich an. „Du gehörst mir, hast du das verstanden? Mir! Ich bin der König! Ich bin der König!“
Meine Augen begegneten den seinen, suchten nach dem Mann, den ich geheiratet hatte, doch alles, was ich sah, war das kalte Blau Avandorias in seinen Augen, die Zornesröte in seinen aufgequollenen Wangen, sein schweres Atmen, die in Rage verzogenen Lippen, nicht mehr als ein schmaler, wütender Strich. Früher hätte ich wohl Mitleid mit ihm empfunden, doch jetzt war da nur noch Verachtung. Dieser Mann war nicht mein Mann. War es nie gewesen. Es war genug.
„Ich werde niemals dir gehören“, spie ich ihm voller Abscheu entgegen. Ich riss mich von ihm los, heftiger diesmal als zuvor, stieß ihn angewidert von mir, sodass er das Gleichgewicht verlor und gegen den Schreibtisch prallte, raffte meine Röcke und lief los. Ich hörte, wie er hinter mir fluchte, sich brüllend wieder auf die Beine kämpfte, doch ich war bereits bei der Türe, riss sie mit einer Bewegung auf und stürmte hindurch. Tränen verschleierten mir die Sicht, während ich den Gang entlang rannte, ohne auf meine Leibwächter zu achten und mein Schluchzen nahm mir die Luft. Ich musste hier weg, weg, so schnell wir möglich. Weg von diesem Palast, weg von diesem Mann, diesem Wahnsinnigen, dem ich einst mein Versprechen gegeben hatte. Meine Schuhe hielten mich auf, behinderten mich im Laufen, also schleuderte ich sie einfach von mir, ich hörte, wie sie über den glatt polierten Boden rutschten und gegen die Wände prallten. Hinter mir rief jemand nach mir, einer der Soldaten, doch ich kümmerte mich nicht um ihn. Tamirs wütendes Gebrüll hallte hohl und unheimlich durch die Gemäuer, trieb mich an, schneller zu laufen, bis ich das Portal erreichte, durch das man nach draußen gelangte.
„Eure Majestät!“ Der Soldat, der die Türe bewachte, sah mir schockiert entgegen, machte einen unsicheren Schritt auf mich zu, doch ich lief einfach an ihm vorbei, schluchzend und tränenüberströmt, riss die kleine Türe auf und drängte hinaus in die kalte Nachtluft. Meine bloßen Füße trugen mich über den sandigen Boden des Weges, der zu den Rosengärten führte, dann über den Rasen, das frische Gras des anbrechenden Sommers, bis zu den Palastmauern. Ich erreichte das Portal, durch das ich jede Nacht meinen Träumen entfloh, wurde langsamer und nickte dem Wachhabenden zu. „Öffnet das Portal.“
„Eure Majestät…“ Er musterte mich besorgt. Ich wusste was er sah. Eine junge Frau in einem schwarzen Kleid, verzweifelt, tränenüberströmt, verletzt, barfuß, das lange, blonde Haar offen und zerzaust. Das hier war nicht seine Königin. Das hier war ein einfaches Mädchen. Ein einfaches Mädchen mit einem gebrochenen Herzen.
„Bitte.“ Ich sah ihn flehend an.
Er zögerte noch einen Moment, dann senkte er den Blick und machte er sich daran, die Pforte zu entriegeln. „Ihr solltet nicht alleine dort hinausgehen, Eure Majestät.“
Ich begegnete einem Moment lang seinem eindringlichen Blick, dann huschte ich einfach nach draußen, doch er folgte mir nicht und hielt mich auch nicht auf.
Ich wusste, er hatte es in meinen Augen gelesen. Dass es da draußen nichts mehr gab, das mich verletzen konnte.

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