Die Weihnachtsperson – #24Autoren mit Marco M. Anders

von | 19.12.2017 | 0 Kommentare

Nach einer wilden Nacht erwacht Dave in der Hölle und muss feststellen, dass der Weihnachtsmann einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat.

Die Weihnachtsperson

Nach einer durchzechten Nacht erwachte Dave auf einer harten Pritsche. Die Erinnerung an den letzten Abend verschwand in einem Nebel aus Alkohol und lauter Musik. Er sah sich um, doch der Raum war, abgesehen von einer grünen Tür, deren Farbe hier und da schon abblätterte, leer.
Die Tür löste sich beim dritten Stoß aus ihrer Verkeilung und schwang nach außen auf. Er landete auf einem metallenen Laufsteg, der an der Außenwand einer orange erleuchteten Höhle entlang verlief. Der Boden der Höhle war mit Löchern übersäht, die Feuer und Bimsstein spuckten. Asche und Zimt lagen in der Luft.
Wo sich keine Löcher im Boden auftaten standen Werkbänke, an denen magere, in Lumpen gehüllte Menschen Lamettafäden zogen, Geschenkpapier zurechtschnitten und Christbaumkugeln bemalten. Zwischen den Werkbänken liefen muskelbepackte und von Kopf bis Fuß tätowierte Elfen, mit Peitschen in den Händen, auf und ab. In der Entfernung zog ein Rentier einen Schlitten voller Actionfiguren mit besonders vielen verschluckbaren Kleinteilen über eine Brücke aus glühendem Gestein.
Von links näherte sich auf dem Laufsteg ein kleiner Mann mit Halbglatze, der eine Bauchtasche und eine abgewetzte Lederjacke trug. In der Hand trugt er ein Klemmbrett.
„Da sind sie ja“, sagte er und machte eine Notiz.
„Wo-wo bin ich?“, fragte Dave.
„Am Ende. Kommen sie mit“, antwortete der Mann.
Der kleine Mann führte ihn den Laufsteg entlang. Sie passierten eine Reihe grüner Türen, auf denen Dinge wie „Kfz-Zulassungsstelle“, „Telekom Kundendienst“ und „Bayrische Staatskanzlei“ standen.
Abrupt schwang eine der Türen vor ihnen auf und eine Frau im Hosenanzug taumelte auf den Laufstieg heraus. „Ich kann nicht mehr“, wimmerte sie und ließ sich über das Geländer in ein Becken voll kochendem Schwefel fallen. Dave sah entsetzt zu seinem Begleiter, doch dieser schloss routiniert die Tür und deutete auf die Aufschrift: GEZ.
„Die meisten halten dort nicht besonders lange durch“, sagte er und ging weiter seines Weges. Dave folgte ihm.
Es dauerte nicht lange, bis sie zu einem kolossalen Doppeltor gelangten, auf dem in goldenen Lettern „CEO“ stand.
„Chief Evil Officer“, erklärte der kleine Mann und drückte einen der Torflügel auf. Dave blieb in der Tür stehen und gab dem Ausdruck „Wie ein Auto gucken“ ein Gesicht.
Zu beiden Seiten des Raums loderten Flammenwände zwischen festlich dekorierten Weihnachtsbäumen empor. Ein Geruch von Plätzchen, Lebkuchen und verbrannten Haaren erfüllte das Innere. Durch vergitterte Löcher im Boden drang das Jammern gemarterter Seelen und aus einem billigen Radiowecker schepperte „Last Christmas.“
Hinter einem Tisch mit Beinen aus Zuckerstange saß ein dicker Mann in rotem Anzug und mit weißem Vollbart in einem Schaukelstuhl. Neben ihm saß eine Gestalt mit Ziegenbeinen und Hörnern. Mit ihrem kohleschwarzen Schwanz hielt sie eine Tasse mit der Aufschrift ‚Man muss kein Sadist sein um hier zu arbeiten, aber es hilft.‘
Der kleine Mann ging zu der gehörnten Gestalt, drückte ihr das Klemmbrett in die Hand und schloss die Tür hinter sich, als er den Raum wieder verließ. Die Gestalt überflog den Inhalt des Klemmbretts und reichte es dem Mann in rot.
„Setz dich doch“, sagte der Teufel. Dave ließ sich auf einem einfachen Schemel nieder, während der Mann in rot kopfschüttelnd vom Klemmbrett ablas:
„Diebstahl, aha. Urheberrechtsverletzung, soso. Ohne TÜV Auto gefahren, eieieieiei. Kindesunterhalt nicht gezahlt?“ Der Mann blickte auf und sah Dave durchdringend an. „Das wird richtig unlustig für dich.“
„Dave“, sagte der Teufel, bevor dieser zu einer Reaktion fähig war. „Dir wird bewusst sein, dass du kein gutes Leben geführt hast. Also lass uns die Formalitäten überspringen und zur Sache kommen: Wie du sicher schon aus unserer Werbung weißt, sind wir hier bemüht jedem unserer Gäste einen möglichst unangenehmen Aufenthalt zu bereiten. Deshalb waren wir – im wahrsten Sinne des Wortes – Feuer und Flamme für den Vorschlag des Herrn neben mir.“
„Ist-ist das der Weihnachtsmann?“, fragte Dave, der offensichtlich nicht zugehört hatte.
„Weihnachtsperson“, widersprach der Mann in rot. „Ja, ich weiß. Bedank dich bei den Deutschen. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Als Erste haben die Heinzelleute sich eine geschlechtsneutrale Bezeichnung gegeben. So ein Blödsinn. Jeder weiß, dass Heinzelleute sich asexuell durch Teilung vermehren. Als Nächstes haben die Elfen eine Gewerkschaft gegründet. Dieses undankbare Pack! Ich gebe ihnen Arbeit und die wollen auch noch Geld dafür! Danach hat es die Osterhasen erwischt…“
Der Teufel räusperte sich und der Mann in rot verstummte.
„Dave, laut unserem göttlichen Auftrag müssen wir für jeden Sünder eine Bestrafung finden, die seinen Missetaten zu Lebzeiten entspricht. In Anbetracht deiner Vorgeschichte erscheint uns ein Einsatz als Weihnachtsperson als unmenschlichste Lösung.“
„W-w-weihnachtsperson?“, fragte Dave.
„Weihnachtsperson“, bestätigte der Mann in rot. „Die Zeiten haben sich geändert, mein Freund. Da draußen gibt es eine ganze Menge Kinder und die haben Ansprüche, oh ja! Alleine ist das nicht mehr zu stemmen, also rekrutieren wir Abschaum wie dich.“
„Ich-ich soll Weihnachtsmann werden?“, fragte Dave und war sich nicht mehr sicher, ob er wirklich tot oder nur bei der versteckten Kamera war.
„WEIHNACHTSPERSON“, brüllte der Mann in rot. Dave zuckte zusammen, aber der Teufel schien derartiges bereits gewohnt zu sein.
„Du wirst helfen Weihnachten durchzuführen, ja. Wenn nicht im Leben, dann halt hier“, sagte er.
Dave haderte.
„Sollte der Weihnachtsma… die Weihnachtsperson nicht jemand Gutes sein? Freundlich? Fröhlich? Weihnachtlich?“
Der Mann in rot brach in schallendes Gelächter aus.
„Ja, das sollte sie“, sagte der Teufel. „Das war der Gedanke, anfangs. Genau wie Weihnachten ein Fest der Liebe und Vergebung sein sollte.“
„Es hat den alten Mann ziemlich geärgert, als ihr seinen Geburtstag mit einem heidnischen Winterfest zusammengelegt habt“, sagte der Mann in rot.
„Niemand kann sich der Realität auf Dauer verschließen“, fuhr der Teufel fort. „Er hat es wirklich versucht. Am Ende hat er sich nur noch wiederholt: Liebe deinen Nächsten, habe ich gesagt. Nicht, liebe deinen Nächsten, es sei denn er hat nur einen Hauptschulabschluss, ist obdachlos, zieht alleine drei Kinder groß, geht seinem Partner fremd, hat eine chronische Krankheit, isst mit den Händen oder ist Anhänger eines anderen Sportvereins.
„Du hast Recht, Dave, die Weihnachtsperson sollte gut und fröhlich sein. Aber die Dinge sind nicht wie sie sein sollten, weder hier, noch bei euch. Ihr trinkt euren Kaffee mit Milch und Zucker und vergesst das Blut der Arbeiter auf den Plantagen. Ihr kauft Hosen für 4,99 € bei Kik, aber von den 14-Stunden-Schichten in ungelüfteten und gelegentlich einstürzenden bangladeschischen Textilfabriken wollt ihr nichts wissen. Ihr kauft fair gehandelte Kokosflocken, aber im selben Einkaufskorb landet Hackfleisch, halb Schwein, halb Pferd, das in Südosteuropa von illegal eingewanderten Kriegsflüchtlingen zu Hungerlöhnen geschlachtet wurde. Die Materialien für euer neues Smartphone wurden von Kindern in Afrika und Zentralasien gefördert. Gefertigt werden sie von Bauern in China, die sich lieber aus dem vierzehnten Stock werfen, als auch nur einen Tag länger an ihren Förderbändern zu arbeiten. Wenn ihr es dann nach drei Jahren entsorgt, landet es als Elektroschrott in Indien, wo die Umweltbestimmungen zulassen, dass man das Trinkwasser mit Lösungsmitteln vergiftet. Denn das ist besser so für die Quartalsbilanz.
„Jedes Jahr werdet ihr mehr und jeder hungert nach mehr, statt dass ihr euch an dem Garten Eden erfreut, in dem ihr lebt. Egal wie viel ihr bekommt, es ist nie genug. Irgendwann hat mein Geschäftspartner sich gefragt, ob er es moralisch überhaupt noch verantworten kann, dass die Elfen sich für euch kaputt schuften.“
„Wir haben zuerst versucht nach China auszulagern, aber die haben uns einfach kopiert“, sagte der Mann in rot.
„Kurzum, Dave, du bist genau das, was die Menschen verdienen. Du wirst Handys in der falschen Farbe und DVDs von ähnlich heißenden, aber komplett unterschiedlichen Filmen ausliefern. Du wirst T-Shirts von gefloppten Zeichentrickserien verladen, und Babyspielzeug mit Toneffekten verteilen. Du wirst Schuhe und Socken an jene verschenken, die sie nicht haben wollen und denjenigen, die sie gebrauchen könnten, schenkst du einen feuchten Händedruck. Du wirst die Menschen quälen, wie es mir nie vergönnt war und du wirst dabei ein Lächeln auf den Lippen haben. Und wenn du wieder davon fliegst wirst du „Ho-ho-ho!“ rufen und sie werden erzittern. Denn du bist die Weihnachtsperson und sie wissen, dass sie unartig waren.
„Frohe Weihnachten, Dave.“

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