Zum Welttag des Buches beim Rowohlt-Verlag

von | 23.04.2017 | 0 Kommentare

Am Freitag, den 21. April 2017, sind Dean C. Wilkens und ich nach Reinbek gefahren, um an der Veranstaltung Verlagebesuchen teilzunehmen. Dieser vom Börsenverein deutscher Buchhandlungen initiierte Tag der offenen Tür zum Welttag des Buches fand für uns im Rowohlt-Verlag statt.

Mit der S-Bahn dauert es eine Viertelstunde vom Hamburger Hauptbahnhof nach Reinbek. Ein Reinbeker beschreibt uns den Weg zum Rowohlt-Verlag und endet mit “links sehen Sie ein Gebäude, rechts sehen Sie ein Gebäude, und da ist dann der Verlag”. Auf dem Gelände angekommen stapfen wir zunächst durch die Grünanlagen des Verlagsgebäudes. Auf der Suche nach dem Haupteingang ergattern meine Begleitung und ich durch die großzügigen Fenster des Bauhaus-Stil-Gebäudes bereits einige Einblicke in den Rowohlt-Verlag.

Eingangshalle des Rowohlt-Verlags

Eingangshalle des Rowohlt-Verlags

Wider Erwartens ist die Eingangshalle gar nicht so groß. Einige Verlagsbücher stehen gut beleuchtet aus, Ernst Rowohlt und Sohn schauen uns von monochromen Bildern mit Zigarren in den Händen an und die anderen Besucher unterhalten sich leise. Dieses Museums-Gefühl durchbricht der kaufmännische Geschäftsführer, Peter Kraus vom Cleff. Er erzählt humorvoll über die Vor- und Nachteile des denkmalgeschützten Verlagshauses, beispielsweise die hyperaktiven Maulwürfe, die die Grünanlagen zu Freuden des Gärtners regelmäßig frei umgestalten oder die angenehme Temperatur im Jahresdurchschnitt, die im Winter oder Sommer für sich gestellt eher an Extreme stößt. Nach der Überbrückung des akademischen Viertels für Verspätete gehen wir durch den Sachbuchflur und nehmen im Versammlungssaal, der liebevoll NATO-Saal genannt wird, Platz. Man könnte meinen, der Versammlungssaal hieße NATO-Saal, weil er den strategischen Beratungsraum der Verlagsteams darstellt, doch stammt dieser Name aus einem Witz. Scherzhaft böse Zungen behaupten, in diesem Saal würde “nichts als tote Hosen” bei rumkommen.

“Rowohlt ist erstens ein Verlag und erst zweitens eine Firma.”

An alle Teilnehmenden verschenkt: Fritz J. Raddatz: Eine Erinnerung Jahre mit Ledig ISBN: 978-3-498-05798-5 Klappentext: "Der sensible Elefant. Er konnte trompeten, stampfen und zärtlich sein."

An alle Teilnehmenden verschenkt: Fritz J. Raddatz: Eine Erinnerung Jahre mit Ledig
ISBN: 978-3-498-05798-5
Klappentext: “Der sensible Elefant. Er konnte trompeten, stampfen und zärtlich sein.”

Dr. Uwe Naumann übernimmt das Wort. Der Lektor und ehemalige “Koordinator E-Book” des Rowohlt-Verlags weist uns darauf hin, dass jeder Verlagsbesucher am Ende der Veranstaltung ein Exemplar von “Jahre mit Ledig” von Fritz J. Raddatz mitnehmen soll. Nichts sei frustrierender, als wenn ein Verlag nicht alle Bücher los wird – insbesondere, wenn diese als Geschenke bereitliegen. Er beginnt eine Einführung in die Geschichte des 1908 gegründeten Verlages und belebt diesen Vortrag zwischendurch mit echten Wochenrückblicken aus dem deutschen Fernsehen, in denen der Verlagsgründer und dessen Sohn Heinrich Maria Ledig-Rowohlt zu sehen sind.

Was der gebürtige Hamburger erzählt, bleib im Kopf: 1945 erfindet Ernst Rowohlt die sogenannten Rotationsromane. Ein 400-seitiger Roman konnte so auf Zeitungspapier für fünfzig Pfennig verkauft werden und so wurde es nach dem zweiten Weltkrieg durch Rowohlt möglich, wieder geistige Nahrung unter das gemeine Volk zu bringen.

Infodump Geschichte
Das erste Buch, das Rowohlt veröffentlicht, ist ein Freundschaftsdienst für einen bekannten Lyriker. Gustav C. Edzard – Lieder der Sommernächte ist der Beginn der Verlagsgeschichte.
Das berühmte rororo, das sich auf jedem Buch des Rowohlt-Verlags wiederfindet, kommt von der bahnbrechenden Erfindung des Rowohlter Rotationsromans.
Heinrich Maria Ledig-Rowohlt entdeckt 1948 die englischen Pocket Books und bringt sie als Taschenbücher nach Deutschland. Die Presse befürchtet, damit sei der Buchmarkt mumifiziert.
Franz Kafkas erstes Buch wurde bei Rowohlt veröffentlicht. Die Seiten sind mit schön großen Buchstaben und Rändern gedruckt, für Bibliophile ein Augenschmaus.
Auf Buchmessen und High Society Veranstaltungen fielen Ernst Rowohlt und Sohn auf, indem Ernst dünne Weingläser aß und Heinrich auf Buchmessen Purzelbäume machte. Erfolg durch Auffallen war also schon damals durchschlagend.

Den geschichtlichen Abschnitt seines Vortrages schließt Dr. Naumann, indem er von 1960 direkt in die Gegenwart springt und anonymisierte Voten aus dem Verlagshaus vorliest, um dem Publikum die Arbeit im Verlag näherzubringen. Unter Lachern unsererseits zitiert er, wie verwundert ein Lektor darüber sein kann, dass ein Autor beim Schreiben nicht selbst vor Langeweile gestorben sei und weitere Zitate erheitern die Runde.

Peter Kraus vom Cleff

Peter Kraus vom Cleff

Herr Kraus vom Cleff übernimmt das Wort und nimmt das Publikum mit in die Gegenwart und Zukunft. Er referiert über die Arbeit im Verlag und darüber, was geschieht, wenn ein Autor ein Manuskript bzw. die Idee für ein Manuskript einreicht.

“Mein Verlag hat kein Gesicht, aber tausend Augen”, Ernst Rowohlt

Er geht neben einer Informationsauswahl über die Arbeit des Verlags auf das Lesen ein. Pro Jahr werden 80.0000 Novitäten veröffentlicht. Das wäre bei durchschnittlicher Seitenzahl ein 2.500 Meter hoher Turm, würde man alle Neuerscheinungen aufeinanderstapeln. Mit der Leitfrage “Wer soll das alles lesen?” geht er auf Fanfictions und die Informationsflut durch Selfpublisher ein.

Infodump Gegenwart
Durchschnittlich lesen wir Deutschen vier Stunden pro Woche. Das arithmetische Mittel für den durchschnittlichen Fernsehkonsum liegt bei 223 Minuten. Täglich! Mit “Lesen” ist hier jedes Lesen gemeint: Also auch Twitter, Zeitung und co.
Am wenigsten liest der deutsche Durchschnitt im Alter von 18 – 29 Jahren: 1,5 Stunden wöchentlich, davon lediglich 59 Minuten in einem Buch. So der Durchschnitt.
Die Aufmerksamkeitsspanne des Menschen liegt inzwischen bei 6 Sekunden (vor der Digitalisierung 13 Sekunden) und damit sind wir einer Nacktschnecke sehr ähnlich. Die zahlreichen Stimuli in unserer Umgebung sorgen dafür, dass wir ständig abgelenkt sind.
Nur 4 % der FAZ-Leser lesen den Feulleton. Das Mediennutzungsverhalten hat sich enorm geändert und stellt Verlage und Buchhändler vor neue Probleme.
Jeder 15. ist Analphabet.
Das weltweite Datenvolumen hat sich seit 2005 ver-35.000-facht.
Ein durchschnittliches Smartphone hat deutlich mehr Rechenleistung als die Apollo 13.
Jeder achte Euro, den Rowohlt verdient, ist digital (= stammt aus einem E-Book-Verkauf).
Jährlich veröffentlicht der Rowohlt-Verlag 400 Printbücher und 100 E-Books (Monografien). Eingesandt werden unaufgefordert dreieinhalb bis viertausend Manuskripte.

Lektoren sind auch nur Menschen: Ein ganz gewöhnliches Büro aus dem Sachbuchflur

Lektoren sind auch nur Menschen: Ein ganz gewöhnliches Büro aus dem Sachbuchflur

Nachdem Peter Kraus vom Cleff all diese Informationen in einen zusammenhängenden, lebendigen Vortrag verworren hatte, fährt er mit deep reading und browsing reading fort, vergleicht Lesen auf eine interessante und sehr wahre Art mit Jogging und lenkt den Vortrag in Richtung Zukunft.

Durch die Hermetik des Buches wird das klassische gedruckte Buch, wie wir es kennen und lieben, wohl niemals aussterben. Das Gefühl der Vollständigkeit ist etwas, das jedes Buch einzigartig macht und gegenüber jederzeit veränderbaren E-Books romantisiert. Da Zeit unser knappestes Gut ist, stehen sämtliche Veröffentlichende unter Druck. Ob Selfpublisher, Verlag oder Presse; jeder möchte ein Teil der durchschnittlichen vier Stunden wöchentlicher Lesezeit sein. Das geänderte Mediennutzungsverhalten hat bei einem Riesen wie Rowohlt dafür gesorgt, dass vier Millionen Bücher pro Jahr weniger verkauft werden. Kleinverlage und Selfpublisher leiden gleichermaßen unter dieser Entwicklung.

L’esprit qui ne lit pas maigrit comme le corps qui ne mange pas

In grüner Umgebung: Der Rowohlt-Verlag vom Wanderweg aus gesehen

In grüner Umgebung: Der Rowohlt-Verlag vom Wanderweg aus gesehen

Zum Welttag des Buches war mein Besuch im Rowohlt-Verlag eine enorme Bereicherung. Die beiden Vortragenden führten knappen vierzig Menschen vor Augen, wie wichtig es ist, sich mit geistiger Nahrung zu versorgen. Der Geist, der nicht liest, verkümmert wie der Körper, der nicht isst. Mit diesem Spruch entließ uns der Geschäftsführer, nicht aber ohne sich ausreichend Zeit für weitere Fragen zu nehmen. Die Runde wurde gelockert, jeder sprach mit jedem und nachdem kaum zweieinhalb Stunden vergangen waren, da war alles auch schon vorbei. Mit jeder Menge Eindrücke, zwei neuen Büchern in der Hand und einem wohlig warmem Gefühl, jemand der Leute zu sein, die das Lesen der Zukunft bestimmen und lenken können, verließen wir den Rowohlt-Verlag und freuen uns schon jetzt auf das Wiedersehen auf der Frankfurter Buchmesse.

Ich bedanke mich sehr herzlich bei Dr. Uwe Naumann und Peter Kraus vom Cleff für diese tollen Einblicke in den Rowohlt-Verlag zum Welttag des Buches.

Alles Liebe,

Kia



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