Zeitlose – Simeons Rückkehr – #24Autoren mit Eva-Maria Obermann

von | 05.12.2017 | 0 Kommentare

In Zeitlose – Simeons Rückkehr entpuppen sich Doras Träume als bittersüße Gefahr. Was ist wahr und wer ist sie wirklich?

Zeitlose – Simeons Rückkehr

zeitlose_postkarteStockfinstere Nacht lag im Schlafzimmer, ich hörte den Atem des Mannes neben mir, gleichmäßig und ruhig, vertraut und fremd. Mein Arm lag auf seiner Brust. Die Fingerspitzen, unter denen ich seine warme, weiche Haut ausmachte, wurden mit jedem Atemzug angehoben und wieder abgesenkt. War das Oscar, dessen Duft mich umhüllte, auf dessen Arm mein Nacken lag, wie angegossen, in der Kuhle seines Ellenbogens?
Mein Atem setzte aus, ich drückte die Finger näher an seinen Brustkorb, wurde eins mit der Bewegung, mit seinem Luftholen, während ich meines vergaß. Wer war ich? Und wo war ich?
War es Simeon, der mich nach all den Jahren auf dem Markt wiedergefunden hatte, dessen Blick nur eine Sekunde lang den meinen treffen musste, um jede Erinnerung an ihn aufleben zu lassen? Die Hand, die meine ergriff, das Heu, in dem wir landeten, das kühle Wasser um meine Füße, seine weichen Lippen auf meiner spröden Haut. Gierig holte ich mit einem Mal Luft.
Konzentrier dich, schrie ich mich in Gedanken an. Traum und Wirklichkeit, trenne sie!
Oscar grummelte im Schlaf auf, drehte sich halb zur Seite und deckte mein wild klopfendes Herz mit seinem Arm zu. Ich starrte an die Decke. Wo fing sie an? Wo hörte die Luft über mir auf?
Als ich metallischen Geschmack auf meiner Zunge bemerkte, erkannte ich, dass ich mir auf die Lippen gebissen hatte. Ich schleckte über die Wunde, pustete auf die Stellen, die ich erspürt hatte. Die Ablenkung beruhigte mich. Simeons Blick schien aus jedem Winkel des nächtlichen Zimmers auf mich zu fallen und gleichzeitig drückte Oscars Arm mich in die Kissen. Wie eine Ertrinkende griff ich nach dem Arm, hielt mich daran fest, presste ihn noch näher an mich, bis er mir die Luft zu rauben schien.
»Nancea«, hallte es in meinen Ohren wider.
Ich schüttelte den Kopf, mein immer schneller werdender Herzschlag zerrte an mir.
»Nancea«, flüsterte die Stille.
»Geh weg«, zischte ich und die ersten Tränen setzten sich von meinen Augenwinkeln ab. Oscar grummelte wieder, drehte sich weg, zog seinen Arm, meinen Rettungsanker, mit sich und ein Spalt tat sich zwischen uns auf. Die Kälte schoss auf meinen Körper ein.
»Nancea«, raunte ein Nichts um mich, in mir, in meinen Gedanken.
In Panik schlug ich die Decke zurück, sprang zitternd unter dem Schweiß des Traumes aus dem Bett. Ich schnappte mir meinen lila Bademantel und flüchtete.
»Nancea«, verfolgte mich die Stimme.
Zielstrebig ging ich in die Küche und schaltete den Kaffeevollautomaten ein. Ich brauchte einen klaren, wachen Kopf. Träume rufen nicht, Träume greifen nicht, Träume sind Gedanken, die mein Hirn nachts verarbeitet, nichts mehr, sagte ich mir. Doch federleicht legte sich eine Hand auf meine Schulter, übte kaum Druck aus, war dennoch spürbar. Ich fühlte die Fingerspitzen, die sanft über mein Schlüsselbein streichelten, die Handfläche, die meinen Geist nach unten drückte und meinem Körper Sicherheit verlieh, den warmen Atem an meinem Hals, als er mit rauer Stimme flüsterte: »Nancea.«
Mit Gebrumm hatte die Maschine gespült und begann nun, die schwarze Flüssigkeit in meine Tasse laufen zu lassen.
»Simeon«, antwortete ich und seine Lippen senkten sich auf meinen Nacken, formten leichte Küsse, während seine Nase an meinem Haaransatz tief meinen Duft einsog.
»Ich bin hier«, hörte ich ihn sagen und eine zweite Hand legte sich an meine Hüfte, fuhr langsam, aber sicher geführt, hoch bis zu meinem Brustansatz und wieder hinunter.
Seine Berührungen waren unter dem Bademantel, dessen weicher Stoff den Rest meines Körpers bedeckte. Ich zitterte und griff nach der heißen Tasse. Eigentlich wollte ich Milch hineingeben. Wenn ich schon Kaffee trank, dann nur als Milchkaffee, mit fast mehr der weißen Flüssigkeit, als des schwarzen Muntermachers. Manchmal hatten wir auch Sirup in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen da. Doch ich wagte nicht, mich umzudrehen, die Leere hinter mir zu sehen, bezeugt von dem einfallenden Licht der Straßenlaternen und dem grünen Leuchten der Kaffeemaschine. Ich hörte ihn, ich spürte ihn, doch die Angst, mich umzudrehen und nichts zu sehen, wo sein Kopf, sein Körper sein müsste, den Zugang zu dieser Welt wieder zu verlieren, die Berührung, die Stimme, seinen Atem auf meiner Haut wieder gehen zu lassen, lähmte mich.
»Warum?«, fragte ich und spürte, wie sein Mund an meinem Hals sich zu einem Lächeln verzog. So oft hatte ich ihn gefragt, ich wusste, er würde nicht antworten. Nicht so, dass ich es verstand. Nicht so, dass ich einen Weg finden konnte, von ihm loszukommen oder ihn endlich zu finden.
»Weil ich dich liebe«, sagte er, küsste mich und schon spürte ich den Lufthauch, den er hinterließ.
Bleib, wollte ich rufen, doch meine Stimme versagte in meinem Hals. Der heiße Kaffee verbrannte mir langsam aber sicher die Hand, doch ich hielt die Tasse fest umschlungen. Ich musste jetzt etwas fühlen, etwas Wahres, etwas Extremes. Simeon war wieder fort und ein leises Schluchzen drang aus meiner Kehle. Ohne Licht einzuschalten, zog es mich durch die Wohnung, als könnte ich ihn irgendwo finden, wie ein Kind, das Verstecken spielte.
Meine wackeligen Beine zwangen mich schließlich, auf der Couch eine Pause zu machen. Der Kaffee wärmte mich von innen und die Schwere des Kummers drückte mich nieder. Zwei Seelen in der Brust? Goethe hatte ja keine Ahnung! Ich schleppte mich zurück ins Schlafzimmer, zog ein Nachthemd über und kuschelte mich an Oscars warmen Rücken. Sein Schnarchen war das einzige Geräusch im Raum.
Hauptsache, ich war jetzt nicht allein.

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