Komm, wir machen eine Anthologie!

von | 22.06.2018 | 0 Kommentare

Am Sonntag des Literaturcamps in Heidelberg haben Wiebke (@Gedankenwaelder) und Grit Richter (@asphantastik) eine Session zum Thema Kurzgeschichten gegeben. Es ging darum, wie man Kurzgeschichten veröffentlicht und was dazu gehört, eine Anthologie herauszugeben.

 

Wiebke sprach in dieser Session aus der Sicht einer Selfpublisherin, die eine SP-Anthologie herausgibt. Grit brachte ihre Eindrücke aus der Sicht einer Verlegerin mit. Die Session begann mit einer kurzen Geschichte der Kurzgeschichten und einer Abgrenzung von Kurzgeschichte, Novelle und Kurzroman.

 

Was ist eine Kurzgeschichte?

Grit und Wiebke erzählen uns unter anderem, dass eine Kurzgeschichte durch ihre Kürze besticht. Die Novelle unterscheidet sich kaum von einem Kurzroman, sagen sie. Eine Novelle gibt keine Möglichkeit, von einem Ort oder einem Zeitpunkt aus herumzuspringen. Eine Kurzgeschichte kann aus wenigen Sätzen bestehen und viel mehr ausdrücken, indem Sprache und Inhalt stark eingesetzt werden können. Ein Kurzroman muss in sich geschlossen sein und darf nicht zu viele handelnde Personen haben.

Wir neigen dazu, ein kurzes Buch als Novelle zu bezeichnen. Das ist oft falsch. Die Novella (engl.) ist ein kurzes Werk mit bis zu 40.000 Wörtern. Durch die sprachliche Ähnlichkeit geschieht hier oft eine Verwechslung mit der Novelle. In einer Novelle kann ich sehr gut Einzelschicksale und Lebensabschnitte darstellen.

Die Kurzgeschichte kann in ihrem kleinen Rahmen viel chaotischer sein und Rückblenden enthalten. Autoren von Kurzgeschichten haben unfassbar viele Freiheiten.

 

Geschichte fertig – und jetzt?

 

Viele der Session-Teilnehmer haben bereits Kurzgeschichten veröffentlicht, konnten sich aber mit der Veröffentlichung ihrer Werke nicht vollständig identifizieren.

Für Autoren gibt sich durch das Werk „Kurzgeschichte“ eine Herausforderung: Kurzgeschichten sind nett zu schreiben, manchmal geht es auch recht schnell. Sie bieten viele Vorteile und können Ideen natürlich auf schnellerem Wege zum Leben erwecken als ein kompletter Roman.

Dann gibt es Ausschreibungen von Literaturzeitschriften und ganze Verlage, die sich auf Anthologien konzentrieren. Die Schwierigkeit für Autoren ist hier die Frage: „Wo bringe ich meine Kurzgeschichte unter?“

Grit erwähnt die Federwelten (Anmeldepflichtiges Forum): Hier gibt es umfassende Listen von Ausschreibungen und Wettbewerben. Sie sind nach dem Genre sortierbar. So zeigt die das Tool auf der Website beispielsweise alle Ausschreibungen für die nächsten paar Monate, die sich mit Science Fiction beschäftigen. Darunter sind kleine Wettbewerbe und solche, in denen es ein kleines Preisgeld zu gewinnen gibt.

Fischer Tor und PAN beispielsweise kooperieren sehr reichweitenstark: Sie kreieren gute Ausschreibungen, loben ein hohes Preisgeld aus und überzeugen durch ihre große Reichweite.

Aber nicht nur Ausschreibungen von Verlagen oder Literaturzeitschriften sind Möglichkeiten, wie wir unsere Kurzgeschichten veröffentlichen können. Wir Autoren sollen schauen, in welche Richtung wir gehen wollen. Der klassischer Weg hier hierbei der, bei dem der Verlag etwas ausschreibt und wir uns bewerben. Dann sind wir mit einer Kurzgeschichte im Lostopf und können zudem unseren Marktwert testen. Machst du bei zehn Ausschreibungen mit und gewinnst zehn davon, weißt du: Du kommst bei Verlagen super an. Das steigert die (Erstlings-)bekanntheit. Die Leute kennen dich schon, haben den Namen schon irgendwo gehört. Veröffentlichte Kurzgeschichten sind eine perfekte Basis vor dem Debütroman.

Wer nach dem Debütroman weiterhin Romane schreibt, sollte trotzdem Kurzgeschichten schreiben. Kurzgeschichten sind eine tolle Möglichkeit, sich in verschiedenen Genres ausprobieren.

 

Der Ruf der Anthologien

Anthologien haben einen traurigen Ruf: Alle wollen schreiben, keiner will sie lesen. So eine Kurzgeschichte kann man aber eben im Bus, im Wartezimmer oder sonst zwischendurch lesen. Die Anthologie wegzulegen und nach drei Monaten wieder in die Hand nehmen zu können sorgt dafür, dass der Leser nicht rausgeworfen wird. Eine Anthologie enthält keine Kontinuität und ist dadurch eigentlich das perfekte Buch für die heutige Hektik im Alltag.

Dennoch verkaufen sich Anthologien schlecht bis gar nicht und sind auf die Mitarbeit der Autorinnen und Autoren angewiesen. Redet darüber!

Verlage machen teilweise so viele Ausschreibungen, dass sie die Ausschreibung in den Vordergrund stellen. Wenn deine Kurzgeschichte genommen wird, ist das erst mal toll. Aber ohne Eigenengagement liest niemand deine Geschichte, und keiner merkt sich euren Namen. Social Media Marketing ist unerlässlich, wenn du Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlichst.

 

Häufige Fehler bei der Anthologie-Einreichung

Als Herausgeberinnen können Wiebke und Grit ein Lied von häufigen Fehlern singen. Viel zu häufig kommen folgende drei Dinge vor:

  • Der Autorenname fehlt
  • Die Kurzgeschichte hat keinen Titel
  • Formkriterien werden nicht eingehalten

Wenn du eine Kurzgeschichte für eine Anthologie einreichst, schreib bitte in deiner E-Mail, was du eigentlich vom Empfänger willst. Ein kurzes Anschreiben ist ein Traum. Das gilt natürlich eher bei Ausschreibungen von SP-Anthologien und kleineren Verlagen. Bei großen Ausschreibungen gibt es oft Formulare.

Extrem wichtig ist, dass Kriterien, besonders Formkriterien, eingehalten werden. Soll die Geschichte maximal 2.000 Wörter haben und du reichst zwanzig Normseiten ein, hast du das Kriterium mit höchster Wahrscheinlichkeit verfehlt. Wer es nicht schafft, die Einsendungsvoraussetzungen zu lesen, ist sofort raus. Das gilt auch für gut gemeinte Abänderungen. Wenn du die Formvorschriften missachtest und eine andere Schriftart wählst als die, die vorgegeben ist, stichst du zwar hervor – aber du wirst sofort aussortiert.

Zwischen 50 und 300 Einsendungen pro Ausschreibung erreichen die Herausgeberinnen – da muss man erst mal lesen. Macht es dem Mail-Empfänger so leicht wie möglich, sich durch eure Einreichung zu wühlen. Da wegen der Vielzahl an Einreichungen stark aussortiert wird, solltest du immer davon ausgehen, dass nach der Einreichung kein Lektorat, sondern lediglich ein Korrektorat erfolgt. Lass also immer jemanden drüber lesen. Lass dein Werk ein paar Tage liegen, merze alle Fehler aus. Versuche, eine perfekte Geschichte einzureichen.

 

Das Besondere einer SP-Anthologie

Wiebke schildert aus Sicht der Selfpublisherin, wie eine SP-Anthologie entsteht. Die Sehnsuchtsfluchten entstanden zunächst durch einen Aufruf auf Twitter. Das Thema der Anthologie war und ist „Emotionen“. Die Organisation der Anthologie lief überwiegend über den Gruppenchat bei Twitter. Im Gegensatz zu den meisten Anthologie-Angeboten gibt es bei der von Nika Sachs initiierten Aktion (und Tradition) nicht nur ein Korrektorat, sondern auch ein Lektorat.

In der neuen Veröffentlichung „Briefe aus dem Sturm“, VÖ im Juni, gab es drei Lektoratsschritte. Das sind insgesamt extrem viele Schritte. Da ich selbst eine Autorin bei der #NikasErben-Anthologie bin, kann ich den Vorgang hier etwas detailreicher erläutern:

  1. Einreichung der Kurzgeschichte
  2. Feedback durch Wiebke
  3. Einarbeiten des Feedbacks
  4. Weiterleiten an Magret
  5. Feedback von Magret
  6. Einarbeiten des Feedbacks
  7. Einreichung im Lektorat bei Michaela
  8. Feedback von Michaela
  9. Einarbeiten des Feedbacks von Michaela
  10. Rückfragen klären
  11. Zurück an Michaela schicken
  12. Korrektorat umsetzen
  13. Finale Abgabe
  14. Auf Buchsatz von Magret warten
  15. Kurzgeschichte nochmal Korrekturlesen

Die Autoren von „Briefe aus dem Sturm“ waren nach all den drei Lektoratsrunden dann im wahrsten Sinne des Wortes fertig.

Wenn du eine eigene SP-Anthologie herausgeben möchtest, solltest du nicht sehr kulant bei Deadlines sein, damit die Arbeit ordentlich strukturiert wird. Außerdem bleiben dann die Autoren am Ball und es geht merklich voran.

Das Besondere: Bei einer SP-Anthologie kriegt der Autor mit, wie die Arbeitsschritte sind.

Im Prinzip ist es so: Selfpublisher tun sich zusammen und machen eine Anthologie. Die Verantwortung ist groß. Wiebke empfiehlt, eine Anthologie nur mit einer erfahrenen Autorin an der Seite zu entwickeln.

Daher haben sich Wiebke und Magret zusammengeschlossen. Das Thema kann man dabei natürlich selbst bestimmen, was ein riesiger Vorteil der SP-Anthologie ist. Es gibt Ausschreibungen, die sind total unspezifisch Genre-Ausschreibungen. Solche ergeben ein Potpourri, in dem sich keiner zurechtfindet. Außerdem können sich die Autoren die Kosten teilen. Ein Lektorat von 200 Normseiten ist nicht teuer, wenn es durch zehn Autoren geteilt wird 😉

Auch der Marketing-Prozess ist wichtig. Jeder Autor sollte mitmachen. Jeder Autor macht dabei gleichzeitig Werbung für alle anderen Autoren, und somit ergibt sich eine potentiell enorm große Reichweite.

Werden sie intensiv mit eingebunden, hängen die Autoren mit Herz an der Sache. Bei „Briefe aus dem Sturm“ haben wir gemeinsam die Entscheidungen über das Coverdesign gefällt. Das (und die geniale Idee an sich) führen zu einer hohen Identifikation mit der Anthologie.

Mich persönlich hat es auch erwischt. Ich stehe voll hinter den #NikasErben-Anthologien. „Briefe aus dem Sturm“ enthält eine Kurzgeschichte, die zum Teil aus originalen Briefen besteht, die ich an einen verstorbenen Freund geschrieben habe.

Das Konzept von „Nikas Erben“: Nika Sachs begann gemeinsam mit Julia von Rein-Hrubesch mit der Anthologie „Sehnsuchtsfluchten“. Die Kosten, die bei dieser ersten Anthologie entstanden sind, haben sich alle Autorinnen und Autoren geteilt. Die Einnahmen, die durch die Verkäufe zusammengekommen sind, werden verwendet, um nun die Kosten für „Briefe aus dem Sturm“ zu decken. Somit zahlt keiner der Autoren drauf und erhält sogar ein Belegexemplar der Anthologie. In den nächsten Jahren geben Wiebke und Magret das Zepter weiter an zwei Autoren, die sich als Anthologie-Herausgeber probieren möchten. Für 2019 bleiben die beiden aber die Herausgeberinnen. Somit sammeln wir aus beiden Perspektiven Erfahrungen und schaffen auch noch etwas sehr Wertvolles.

 

Was bringt eine Anthologie? Honorare und Zugewinne

 

Reden wir mal über Geld. Grit ist die Verlegerin und Inhaberin vom Art Skript Phantastikverlag. Sie hat in der gemeinsamen Session mit Wiebke eine Kostenaufstellung aus dem Verlag mitgebracht.

Angenommen, an einer Anthologie wirken zehn Autoren mit. Das Honorar beträgt 10 % vom Nettoladenpreis. Jeder der zehn Autoren erhält 1 %.

Kostet die Anthologie so viel im Handel, dass der Nettoladenpreis 10,00 € beträgt (also 10,75 €), fallen pro verkauftem Exemplar 0,10 € netto pro Autor ab. (Davon muss der Autor natürlich noch Sozialversicherung und Einkommensteuer abziehen. Versteht „netto“ hier nicht falsch: Es ist nur umsatzsteuerlich netto.)

Das bedeutet:

Eine Kurzgeschichte bringt dir 10 Euro, wenn die Anthologie 100 mal verkauft wird.

Bei 1000 Verkäufen kannst du in dieser Rechnung 100 Euro verdienen.

Von den sieben Anthologien, die der Art Skript Verlag herausgebracht hat, haben sich sechs unter 500 Mal verkauft. Eine einzige hat sich über 1000 Mal verkauft.

Es ist wichtig, dass deine Erwartungshaltung entsprechend niedrig ist.

Als Selfpublisher ist man oft froh, wenn sich das Projekt selbst trägt. Die Sehnsuchtsfluchten-Anthologie hat sich über 100 Mal verkauft. Das ist für eine SP-Anthologie schon extrem gut.

Jetzt habe ich schon häufiger in diesem Blogartikel erwähnt, dass Anthologien kaum verkauft werden. Das ist schlecht für den Verlag, und natürlich auch unangenehm für den Autor.

Was bringt es also dem Autor, bei einer Anthologie mitzumachen und Kurzgeschichten zu schreiben?

Wird kein Honorar gezahlt, ist die Sichtbarkeit die Bezahlung. Den Artskript Phantastik Verlag gibt beispielsweise seit 2012. Innerhalb dieser sechs Jahre hat er sieben Anthologien herausgebracht. Die Anthologien wurden mehrmals für den deutschen Phantastikpreis für Anthologien nominiert, zwei Mal hat eine Anthologie sogar in der Kategorie „beste Anthologie“ gewonnen. Das gibt auch dir als Autor eine gewisse Sichtbarkeit, pusht dich, die Anthologie und den Verlag.

Du wirst also nicht reich an Geld, sonder gewinnst Sichtbarkeit. Neben der Sichtbarkeit kannst du aber auch extrem wertvolle Erfahrungen sammeln, die du nicht unterschätzen solltest.

Wenn du mit einem Verlag oder einer Autorengruppe für eine SP-Anthologie zusammenarbeitest, erfährst du…

  • Wie arbeiten die Leute
  • Wie finanzieren die das
  • Wie arbeitet der Verlag
  • Wie sieht so ein Vertrag aus

Darüber hinaus geht es viel um Beziehungen.

Wie reagiert der Herausgeber auf Fragen? Zickig, verständnisvoll, knapp, ausführlich…?

Arbeitest du im Rahmen einer Anthologie mit jemandem zusammen, erfährst du, ob die Chemie zwischen dir und dem Verlag stimmt. Vielleicht willst du nach der Anthologie vielleicht gar nichts mehr mit dem Verlag zu tun haben? Wenn ihr euer Buch jemandem an den Kopf werft und unter Vertrag seid, und dann erst merkt, dass ihr nicht miteinander könnt, ist das schon eher eine Katastrophe, als wenn ihr euch über eine Kurzgeschichte uneinig seid und nicht versteht.

Du kannst durch eine Veröffentlichung in einer Verlags-Anthologie mehrere Verlage ausprobieren und kennenlernen.

Also, liebe Autoren. Besonders ist an der Veröffentlichung von Kurzgeschichten in SP-Anthologien und Verlagsanthologien, dass du reich an Erfahrungen wirst. Du kannst auch herausfinden, ob du dich eher dem Selfpublishing oder einem Verlag hingezogen fühlst. (Oder ob du Hybridautor sein möchtest. Wir wollen ja nicht binärgeschlechtlich sein. #LitCampundSex 😉 )

Wenn du erfahren möchtest, wie viel Arbeit wirklich hinter einer Anthologie steckt, dich selbst ausprobieren möchtest und Lust auf die Arbeit mit anderen Autorinnen und Autoren hast, zieh‘ so ein Ding einfach mal selbst hoch. Eine SP-Anthologie kann auch ein guter Einstieg ins Networking in der Branche sein.

Schreibt Kurzgeschichten, bringt euch ein. Macht Marketing.

Ich bedanke mich bei Wiebke und Grit für diese tolle und ausführliche Session.

Alles Liebe,

Kia



0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert