Schon wieder ein YouTuber-Buch!

von | 11.01.2019 | 0 Kommentare

Kann man mal machen* ist ein “Youtuber-Buch”. So nennt man das offenbar, wenn ein Buch nicht von einem hauptberuflichen Schriftsteller, sondern von einem Social Media Influenzer mit großem Youtube-Kanal geschrieben wird. Ich kenne viele dieser Vorurteile und quälend nervigen Stimmen, die über Bücher wie das von Mirellativegal herziehen. Okay, die Stimmen sind nicht nervig, aber ich stelle sie mir nervig vor, wenn ich entsprechende Tweets und Kommentare lese – sonst hält man das ja im Kopf nicht aus.

“Schon wieder ein Youtuber-Buch! Die schreiben ja nur, um Geld zu machen.”

“Diese Influencer schreiben ihre Bücher nicht selbst. Alles Ghostwriter.”

“Mirella ist Youtuberin. Die ist keine richtige Autorin.”

“Die ist viel zu jung. Was hat die schon zu sagen?”

“Den Influencern wird alles in den Arsch geschoben, die müssen sich nicht um einen Verlag kümmern!”

 

Ghostwriter und YouTuber


Nachdem ich “Kann man mal machen” gelesen und beim Buchensemble rezensiert habe, habe ich ein paar Antworten auf all diese Aussagen, von denen ich vielleicht die ein oder andere sogar früher selbst getätigt habe.

Zunächst: Ja, ich bin mir sicher, dass sehr viele Youtuber, die “plötzlich ein Buch herausbringen”, Ghostwriter haben und nur mit Namen & Marketing hinhalten und Tantieme kassieren. Darin bin ich mir nicht nur sicher, weil ich Youtuber kenne, die es nicht draufhaben, ein Buch selbst zu schreiben, nein. Ich bin hauptberufliche Texterin und Ghostwriterin und habe Kollegen. Und die Kollegen sprechen miteinander. Also auch mit mir. Ich weiß von einigen Büchern, wer für wen was geschrieben hat, und Überraschung: Nicht nur Social Media Influenzer haben einen Ghostwriter.

Der Ton von “Kann man mal machen” hingegen ist so authentisch, dass mich Mirellas Stimme beim Lesen manchmal genervt hat. Sorry, Mirella, aber wenn man 200 Seiten am Stück liest, wird deine Stimme in meinem Kopf etwas anstrengend. Soll sagen: Ich bin mir sehr sicher, dass Mirella dieses Buch wirklich selbst geschrieben hat. Und damit ist sie eine “echte Autorin”. Ich wage mal zu behaupten: Sie ist eine echte und gute Autorin! Nur, weil sie nicht hauptberuflich Bücher am laufenden Band raushaut, soll sie keine richtige Autorin sein? Wir beim Buchensemble sind alle Autorinnen und Autoren, und keiner von uns lebt nur vom belletristischen Schreiben. Gut, ich lebe vom sachlichen Schreiben, aber trotzdem sind die anderen völlig unabhängig davon gleichberechtigte und vollwertige Autoren.

 

YouTuber wollen nur Geld

Weiterhin möchte ich anmerken: Ja, Mirella hat dieses Buch geschrieben, um damit Geld zu machen. Was glaubt ihr denn? Wäre der Verlag auf Mirella zugekommen und hätte gesagt: “Hey, du reißt dir ein paar Monate den Arsch auf und machst mit uns dieses Buch, wir helfen dir so gut es geht, und wir verdienen daran Kohle, ist doch Werbung für dich!”, hätte sie was genau machen sollen? Genau. Absagen und das Manuskript in Videoskripte umwandeln. Natürlich verdient sie an ihrem Buch. Steckt ja auch Arbeit drin. Aber nur, weil Mirella mit dem Buch auch Geld verdient, heißt das nicht, dass sie sich nicht einen Traum erfüllt, künstlerisch-schaffende Arbeit geleistet oder einfach nur ziemlich gutes Zeug aufgeschrieben hat.

 

Mit 25 zu jung

Dann hört man Zeug wie: “In dem Alter hat man nichts zu sagen”. Ein Sachbuch ist nicht immer ein Ratgeber mit erhobenem Zeigefinger. Mirella beschreibt eigene Erfahrungen, wovon man mit 24 (Zum Veröffentlichungszeitpunkt ist Mirella 25) durchaus einige haben kann, ich meine, wie langsam lebt ihr, dass ihr mit 24 noch nicht dreihundert Seiten füllen konntet? Sie sagt nichts von oben herab und stellt sich auch nicht dar, als habe sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. Im Gegenteil. Sie begibt sich exakt auf eine Ebene mit dem Leser, schließt dabei ultra gekonnt alle Lesende ein und stößt Gedanken an. Dazu soll ein Buch gut sein, oder nicht? Man beendet es und die Gedanken bewegen sich weiter.

 

Verlage bewerben sich bei Autoren

Last but not least möchte ich auf die Verlagssache zu sprechen kommen. Denn genau das ist es, was mir selbst bitter aufstößt und was mir all die bödartigen Worte über “Youtuber-Bücher” erklärt. Der Verlag kommt auf den Influencer zu. Weil er oder sie eine Reichweite hat. Da sind bereits eine halbe Million Menschen, die sich für das interessieren, was Mirella zu sagen hat, also hat das Buch, das sie mit Community Editions zusammen produziert, eine gewisse Verkaufs-Versicherung. Ich mit meinen 3.000-Twitter-Followern kann dagegen wohl kaum anstinken. Verlage sind Unternehmen, und sie nehmen viel Geld in die Hand, um ein Cover zu gestalten, das Lektorat zu organisieren, Satz, Layout, Redaktion, Fotograf, Korrektorat, Druck und Marketing durchzubringen. Würdest du lieber 15.000 € ausgeben, wenn du weißt, dass du mindestens 100.000 € damit verdienst? Oder würdest du lieber 15.000 € ausgeben, wenn du absolut nicht sicher sagen kannst, ob du überhaupt 15.000 € einnimmst und damit bei Null landest? Die Frage lässt sich sehr leicht beantworten.

Als Schriftstellerin, die sich alles von Null auf aufbaut und auf die nicht allzu dankbare Idee gekommen ist, die eigene Reichweite nur durch die Buchbranche aufzubauen, habe ich es schwerer. Ich habe mich bei mindestens 7 Verlagen beworben, bis ich meine erste Zusage bekam. Um meine Literaturagentur zu bekommen, brauchte ich auch vier Networking-Veranstaltungen, und ich würde sagen, meine Zahlen sind noch sehr positiv.

Da kommt der Neid sehr schnell hoch. Außerdem läuft die Produktion eines Buches unterschiedlich ab. Ich hatte ein fertiges Manuskript mit Exposé und Datenblatt und bin damit zu Verlagen gegangen, bis einer “ja” sagte. Und glaubt jetzt nicht, ich hätte dann auch “ja” zu seinen beschissenen Konditionen gesagt. Never! Ich habe selbst vier Verlage abgelehnt, bevor ich meinen ersten Vertrag unterzeichnet habe. Bei Community Editions läuft das anders ab. Der Verlag geht auf den Influencer zu und klopft Themen und Konzepte ab, die passen. Die Lektorin oder der Lektor ist nicht dafür da, an einem fertigen Manuskript fiese und hilfreiche Kommentare da zu lassen, sondern übernimmt einen ziemlich redaktionellen Teil der Arbeit. Da wird das Buch als solches konzipiert und zusammengestellt. Die Autorin bekommt Hilfe bei der Manuskripterstellung von Anfang an. Und ist das jetzt schlimm?

Nein. Überhaupt nicht.

 

Fazit

Ich finde, YouTuber sollen Bücher genauso schreiben können wie Politiker, Mechatroniker und Großmütter. Dass jetzt “plötzlich alle YouTuber auch ein Buch brauchen”, wie ich es sehr häufig gelesen habe, ist ein einfacher Effekt aus der Tatsache heraus, dass die Verlage durch sie eine neue und lukrative Einnahme-Möglichkeit gesehen haben.

Außerdem verstehe ich nach wie vor jeden Schriftsteller, der jahrelang harte Arbeit investiert und um einen Verlags- oder Agenturvertrag kämpft und Bücher von Prominenten, Influencern oder wie auch immer man sie schimpfen mag, mit neidischen Augen betrachtet.

Neid ist etwas Gutes. Neid musste sich auch Mirella verdienen. Aber lasst den Neid nicht in Missgunst überschlagen. Das Verlagswesen ist hart, und ja, durch Phänomene wie YouTuber-Bücher ist es noch härter geworden. Dafür gibt es aber mutige und kreative Menschen, die die Selfpublishing-Szene soweit professionalisiert haben, dass sie inzwischen stellenweise den Verlagen in Qualität und Professionalität gleichgestellt ist. Manch ein Selfpublisher überragt ein paar Dutzend Kleinverlage um Längen!

Verlage sind Unternehmen. YouTuber sind Menschen. That’s it.

Und ein Buch wie das von Mirellativegal, nun ja… das kann man mal machen!

Alles Liebe,

Kia



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