Heute reden wir über Recherche.
Wir, das sind Magret Kindermann, Charles H. Barnes, Julia von Rein-Hrubesch, S. D. Foik und ich, Kia Kahawa.
Wir sprechen darüber, wie groß unser Rechercheaufwand je nach Buchgenre ist, wie wir recherchieren und welche Tipps wir da mit euch teilen können. Außerdem ist ein Thema heute, wann Recherche genug oder zu viel ist und wann sie womöglich in Prokrastination münden kann – und was man dagegen tun kann.
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Das Winterferien-Programm
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Transkript des Podcasts
Kia Kahawa Ich würde gerne mit Charles H. Barnes beginnen und frage dich einfach mal: Charles, was schreibst du und wie groß ist der Rechercheaufwand?
Charles H. Barnes Als Fantasy und Science-Fiction-Autor heißt es ja oft: Ach, du kannst dir ja alles ausdenken. Musst du ja nicht recherchieren. Du hast es leicht. Das stimmt so nicht ganz. Immerhin greife ich ja doch schon recht gerne auf Bewährtes zurück. Sei es aus der Technik, aus der Flora und Fauna und ja auch teilweise aus Gesellschaftswissenschaften. Man kann sich natürlich Sachen ausdenken und das tue ich ja auch, aber es muss ja schon stimmig sein. Es muss passen. Man kann es sich nicht einfach zu leicht machen. Und dann fängt es an mit der Recherche.
Kia Kahawa Vielen Dank dafür. Das erinnert mich ein bisschen an die Vorträge von Maggo, also Marko M. Anders. Da gab es auf einem Literatur-Camp in Heidelberg mal diesen fast schon in der Bubble berühmten Weltenbau-Vortrag, wo er über alles und jedes einfach gesprochen hat. Und während er sich quasi einfach nur eine Fantasiewelt ausdenkt, redet er dann plötzlich darüber, dass er halt recherchieren muss, wie da irgendwelche Winde in Gebieten sind und dass, wenn da ein Gebirge ist, wie ist da die Wetterlage? Und man kann sich tatsächlich auch richtig intensiv kaputt recherchieren, statt einfach nur zu erfinden. Und ich kann diesen Drang, gerade in der Fantasie und in der Science Fiction, super gut verstehen, wenn man einfach alles stimmig haben muss. Denn ich schreibe selbst Science Fiction für den Plan 9 Verlag und da geht’s viel um künstliche Intelligenz. Schon mit dem ausgedachten Anteil, dass die in 200 Jahren ein Bewusstsein entwickelt haben. Aber da ist auch unfassbar viel Recherche zu tun. Julia, Julia von Rein-Hrubesch ist mein nächster Interviewpartner. Was denkst du denn über Recherche bzw. was kannst du uns zu dem Thema mitgeben?
Julia von Rein-Hrubesch Ich habe für die Pappeln, also für “Das Flüstern der Pappeln”, über die Glasbläserei recherchiert. Und da hat es mir auf jeden Fall sehr geholfen, dass ich schon mal eine Glasbläserei besucht habe und auch selbst eine Kugel hergestellt habe. Und das ist für mich immer sehr wichtig, dass ich, gerade wenn es um Handwerk geht, selbst da was versucht habe. Und das versuche ich auch immer dann irgendwie umzusetzen. Ob ich in ein Museum gehe oder ja, mir was kaufe zum Anschauen und auszuprobieren. Das ist für mich ganz, ganz wichtig, dass ich das anfassen kann. Wenn nicht, dann lese ich und schaue Videos an, wenn es um Handwerk geht. Und ansonsten, ja, das Übliche – im Internet recherchieren, Bücher lesen. Genau.
Kia Kahawa Woah, da kommen Kindheitserinnerungen auf. Ich war auch schon mal in einer Glasbläserei, habe aber noch nie was selbst gemacht. Ja, vielen Dank dafür. Jetzt würde ich gerne von S.D. Foik etwas hören. Und da habe ich so von Anfang an schon das Gefühl, mensch, bei dem Buch ist bestimmt sehr viel Recherche dabei. Aber, lieber Sebastian, stell dich doch mal komplett von vorne vor und erzähle uns mal, was für Recherche bei dir dahintersteckt.
S.D. Foik Mein Name ist Sebastian Foik und ich habe den Spionage-Thriller “Ära des Verrats” geschrieben. Dabei geht es um die Jagd nach Edward Snowden aus der Sicht seiner Jäger, sowie den Ausbruch der Maidan-Revolution im Jahre 2013 in der Ukraine. Der Rechercheaufwand für das Buch war schon immens. Manche Dokumentationen über Snowden oder die Ukraine kann ich fast schon rückwärts zitieren. Und ich habe insgesamt sechs Jahre an dem Roman gearbeitet und in dieser Zeit fast alle Bücher, die mit der Ukraine und mit dem Thema Whistleblower zu tun haben, gelesen. Dazu unzählige Dokumentationen gesehen und ein Teil des Romans spielt ja später, nachdem er anfänglich in Honkong spielt, spielt er später in der Hauptstadt der Ukraine, in Kiew, und beschreibt die Stimmung und die Umstände, wie es zum Ausbruch der Maidan Revolution kam. Und dazu gibt es unzählige YouTube-Videos von diesen ersten Tagen und ich habe sie, muss ich fast gestehen, alle gesehen und habe meine fiktiven Protagonistinnen/Protagonisten in diese Ereignisse dieser Zeit dann reingeworfen. Um nochmal auf Hongkong zurückzukommen, da gibt es eine Szene, bei der es eine Verfolgungsjagd durch den Kowloon Park gibt und ich habe mir wirklich stundenlang Walkthrough Videos angeschaut, die durch den Park gelaufen sind. Also wirklich Leute, vorwiegend Koreaner, Japaner, Chinesen, laufen tatsächlich einfach durch bestimmte Orte in Hongkong und filmen alles. Und das hab ich dann halt für meine, ja, für meinen Roman benutzt. Habe mir das halt angeschaut, um die Stimmung dort einzufangen, wie es dort aussieht, wie es halt vielleicht auch/ welche Hörgeräusche oder Geräuschkulissen es im Hintergrund gibt. Und das Abgefahrene, es gibt sogar Fahrten in Aufzügen. Und zwar in dem Hotel Mira z.B., das eine wichtige Rolle in meinem Roman spielt, wo Snowden sich dort versteckt hat und seine Jäger ihn dort versuchen zu fangen. Und das war alles ziemlich nützlich für mich, dass es halt bei YouTube sowas gibt.
Kia Kahawa Dankeschön. Jetzt zu Magret Kindermann. Liebe Magret, wie sieht das bei dir aus? Wie viel Recherche brauchst du zum Schreiben?
Magret Kindermann Für meine Bücher brauche ich nicht besonders viel Recherche. Manchmal so Kleinigkeiten. Gerade bei meinem Buch “Killing Zombies and Kissing You” brauchte ich ein paar Sachen. Sowas wie, wie schnell geht die Welt vor die Hunde, wenn Menschen nicht mehr da sind und Kraftwerke in Gang halten, das Wassersystem und all diese Sachen. Also wie schnell oder was/ im Klartext eigentlich. Was besteht noch nach sechs Monaten? Und die Recherche war auch recht kompliziert, weil es zwar viele Quellen gab, wie schnell alles geht, doch ganz ganz schnell sind wir bei sowas wie 100 Jahre nach der Apokalypse und 1.000 Jahre nach der Apokalypse. Und dann ist Plastik weg und all sowas. Also solche großen Zahlen, solche großen Sprünge macht dann, machen dann die Angaben einfach. Und sechs Monate ist doch so eine geringe Anzahl, dass ich mir die Frage gestellt habe, wieviel eigentlich tatsächlich noch erhalten bleibt? Und in erster Linie, der erste Anlauf ist natürlich immer irgendwie googlen und gucken, ob man relativ schnell was findet. Die Antwort ist oft ja auch irgendwie sehr eindeutig. Ich hab auch schon Menschen angesprochen und angefragt. Das liegt aber auch eher daran, also ich hab ja auch sehr journalistisch gearbeitet. Ich hab ja lange, lange als Redakteurin und Journalistin gearbeitet und daher ist Recherche für mich kein Fremdwort. Und eher für solche Sachen recherchiere ich dann viel. Meine literarischen Texte sind ja größtenteils eigentlich figurenbezogene Geschichten. Das heißt, ich muss jetzt nicht viel über Wissenschaft oder sowas lernen, sondern wenn, dann sind es so kleine Handlungen. Sowas wie, wie wahrscheinlich ist es, dass ich jemanden töten kann, indem ich ihm ein Messer in den Kopf ramme und solche Sachen. Also klar, das sind jetzt alles irgendwie sehr harte Sachen, die ich da recherchieren musste, aber ja. Und für mein aktuellstes Buch “Aro und der Tod”, das ist High Fantasy, und da hab ich natürlich den Vorteil, es ist Fantasy. Ich kann alles erfinden, aber auch da muss man halt schauen, dass es authentisch wirkt. Dass die Welt nicht, weiß ich nicht, zurecht gemogelt erscheint im Sinne von, ah, das ist jetzt so, weil Autorin X das und das braucht. Sondern man lehnt sich schon an irgendwelche bestehenden Systeme an. Ja, aber trotzdem ist es/ auch das sind Sachen, die ich da mir einfach ausdenken kann und die ich einfach erschaffen kann. Und das ist eigentlich das ganz schöne. Ich hab natürlich auch realistische Sachen geschrieben. Zum Beispiel eine große Sache waren “Die Tulpen”. In der Tulpologie, da hatte ich zwei verschiedene Antworten, und zwar ob Tulpen giftig sind oder nicht. Und da hab ich lange, lange, lange recherchiert und hab verschiedene Quellen gehabt. Unter anderem gab’s dann diese ganz, ganz vielen Quellen, die gesagt haben, dass vor allem die Stiele, Blätter und Zwiebeln giftig sind und vor allem die Zwiebeln. Und dann hatte ich eine andere Quelle. Da hieß es dann, dass in der Nachkriegszeit Tulpenzwiebeln gegessen wurden, um zu überleben. Und ich bin dann mir selbst einig geworden, dass Tulpenzwiebeln wahrscheinlich nicht irgendwie hochgiftig sind, sondern einfach unverträglich. Und wenn man sie in hohen Mengen isst, dass man sie dann nicht verträgt. Und auch, dass sie dann tödlich sein können. Aber ja, das war sehr schwierig und ich hab da auch versucht, mit mehreren Menschen zu sprechen. Aber selbst die waren sich nicht einig. Und dann irgendwann kommt man einfach an den Punkt, an dem man sich entscheiden muss.
Kia Kahawa Also, wenn du mit Menschen sprichst, sind das dann teilweise auch vereinbarte Interviews? Und wie hast du zuletzt recherchiert?
Magret Kindermann Genau. Und ich recherchiere natürlich, wie schon gesagt, definitiv erstmal über Internet und gucke, ob ich da schon etwas finde. Und wie habe ich zuletzt recherchiert? Ja, ich hab mich in irgendwelchen Fachforen herumgeschlagen. Foren sind immer ein ganz guter Anhaltspunkt, weil da auch oft so ein bisschen die Emotionen der Menschen mit dabei sind. Das ist natürlich wenn ich jetzt einen Artikel lese in der “Zeit” oder sonst, weiß ich nicht, in irgend einem Fachmagazin oder sowas, dann hab ich da immer nur die puren Fakten. Und das wirklich Inspirierende sind ja immer die Emotionen. Und da kann ich dann immer mehr damit anfangen, wenn ich in irgendeinem Forum was von einem Menschen lese, der dann noch berichtet, wie ihm das ergangen ist. Und wenn man mal auf das Beispiel mit den Tulpen zurückgeht, da hab ich jetzt nichts in den Foren gefunden. Aber hätte ich was gefunden, dann wäre das vielleicht sowas wie gewesen: Ein Mensch, der berichtet hat, wie er in die Notaufnahme gegangen ist, weil er XY Symptome hatte. Was für mich natürlich sehr viel qualitativer ist, als wenn ich jetzt irgendwie einen Text habe, in dem darüber diskutiert wird, dass, weiß ich nicht, bestimmte Teile der Tulpen ungenießbar sind. Und genau. Also Foren sind für mich immer sehr wertvoll. Und ich habe auch schon Menschen angesprochen. Das ist, glaube ich, für mich immer so ein bisschen der letztere Weg. Weil das Schöne an Schreiben ist ja, dass ich nicht mit Menschen reden muss und mache das dann aber doch auch. Und ich habe jetzt zum Beispiel/ das ist glaub ich so ein bisschen, ah, das ist glaube ich so ein bisschen der Punkt: Ich recherchiere weniger Fakten als z.B. sowas wie die Atmosphäre. Also ich begebe mich gerne an Orte, die in meinen Büchern vorkommen oder denen zumindest nahe kommen. In meinem neuen Buch geht es zum Beispiel um ein verlassenes großes Gebäude, sehr prunkvolles, großes Gebäude und habe das Glück, dass ich hier in meiner Stadt so ein Gebäude habe. Und nicht nur das Glück, sondern natürlich ist es auch ein bisschen inspiriert davon und habe jetzt herausgefunden, dass man dort eine Tour machen kann. Und die hab ich jetzt auch gebucht und werde dort quasi einfach reingehen und mir das anschauen, damit ich erleben kann, wie es ist, dort zu sein und wie sich das anfühlt und wie sich das Echo verhält und irgendwelche Details, die mir auffallen. So eine Recherche mache ich eigentlich eher. So eine erlebte Recherche.
Kia Kahawa Wie sieht das bei dir aus, Julia? Recherchierst du auch am liebsten so erlebend wie Magret oder sprichst du eher mit Menschen oder bist du eher Richtung YouTube, Wikipedia, Google? Wie sieht das bei dir aus? Und wie hast du zuletzt recherchiert?
Julia von Rein-Hrubesch Mit Menschen sprechen, da verbinde ich manchmal meinen Brotjob damit. Ich habe z.B./ ich arbeite z.B. mit Menschen, die jagen oder förstern. Das ist natürlich, da bin ich immer voll neidisch. Oder gärtnern, die kann ich dann immer ausquetschen. Das ist sehr, sehr interessant. Zu “Das Flüstern der Pappeln” hab ich einen Landwirt ausgequetscht, über die, ja, über die ganzen Mähmaschinen und diese Geräte. Und ja, das fand ich auch voll spannend. Sowas finde ich immer toll.
Kia Kahawa Das finde ich auch super spannend. Ich hatte da das Glück, dass ich, bevor ich “Hanover’s blind” geschrieben habe, einen Yoga-Kurs in Hannover im Blindenzentrum gemacht habe. Also das war ein ganz normaler Yoga-Kurs für Menschen mit Rückenbeschwerden und in der Reha und dies und das. Aber auch Leute, die eigentlich gesund sind von außen, so wie ich, kamen über die Krankenkasse da rein und das war eben dann auf dem Gebiet. Und da waren ganz viele blinde Menschen, die ich dann eben auch kennengelernt habe. Und da hab ich dann auch einige Gespräche geführt und war auch kurz davor, also ein halbes Jahr davor, in Hamburg im “Dialog im Dunkeln” und habe auf diese Weise sehr viel über das Leben von Menschen mit Sehbehinderung oder eben auch tatsächlich mit Blindheit erfahren und würde sagen, das war so meine letzte nennenswerte Recherche. Alles andere war eher, ja, jetzt für Science Fiction sehr, sehr viel Programmiersprachen und so. Und damit will ich jetzt niemanden langweilen. Wie ist es mit dir, Sebastian? Wie war deine letzte Recherche?
S.D. Foik Für “Ära des Verrats” habe ich sehr viel schon bei YouTube rumgehangen und mir stundenlang Material über den Aufstand als auch über das Leben in Ukraine angeschaut. Und in Hongkong ebenfalls. Ich bin aber auch ein großer Freund von Fachbüchern. Zum Beispiel habe ich das Buch von Glenn Greenwald gelesen, wo er quasi diese ganze Operation beschreibt, wie er Snowden interviewt hat, wie es zum Kontakt kam und wie er dort technisch alle Sachen beschreibt, wie die NSA die Leute quasi überwacht. Also alle Präsentationen, die ihm Snowden übergeben hat, sind in seinem Fachbuch zu finden. Und dasselbe ist mir dann bei der Ukraine ebenfalls passiert. Also da habe ich ganz viele Bücher, auch Fachbücher, zu diesem Thema gelesen. Bei “Ära des Verrats” ist mir aber auch gelungen, einen echten Zeitzeugen zu erwischen, der bei der Maidan-Revolution eine sehr wichtige Rolle gespielt hat. Rosislaw Bomme aka Artisto war mittendrin auf diversen Bühnen auf dem Maidan, hat dort Konzerte gegeben und war auch für die Hymne der Revolution zuständig. Und der hat mir dann halt sein halbes Leben erzählt und wie er sich, einem Soldaten ähnlich, auf die Revolution quasi vorbereitet hat. Und alles was über Artisto in dem Buch steht, stammt direkt von ihm, ist also gelebte Geschichte, quasi. Auch gesprochene Geschichte, oral history sozusagen. Und darauf bin ich wirklich sehr stolz. Weil vor allem Artisto auf einem riesigen medialen Schatz zu der Maidan-Revolution sitzt. Also Bilder und Videos, auf die ich dann in Zukunft zugreifen kann. Und ja, was Besseres kann einem Historiker nicht passieren.
Kia Kahawa Vielen Dank. Das klingt ja traumhaft, gerade für Historiker. Ja, dann kommen wir mal zu Charles. Wie sieht deine Recherche aus?
Charles H. Barnes Ganz klassisch: erst Google, dann Wikipedia. Aber wenn es schon eine Frage ist, die nicht aus Technik oder Wissenschaft ist, stößt man da schnell an seine Grenzen. Weil viele Leute schreiben über das, was sie denken oder ihrer Meinung nach sein sollten und nicht irgendwie sauber recherchierte Sachen auf. Dann muss ich schon zu richtigen Fachseiten gehen. Oder natürlich auch, wenn es eine wissenschaftliche Fragestellung ist, gibt es viele Publikationen, die frei verfügbar sind im Internet. Und wenn das noch nicht klappt, zur Not in die Bibliothek und da in den dicken Wälzern nachschauen. Und wenn ich Glück hab, finde ich ein oder zwei Experten, die mir die Fragen beantworten können. Weil meistens ist ja genau die Kleinigkeit, die man jetzt unbedingt nachschauen will, die gerade nicht erklärt worden ist. Egal, wie kleinlich sonst alles erklärt worden ist, genau die eine Frage natürlich hat man nicht klären können.
Kia Kahawa Oh ja, das kenne ich total. Jetzt nicht aus meinem Autorenleben, deshalb halte ich es kurz. Ich habe zwei Papageien, und zwar sind das Grünwangen-Rotschwanz-Sittiche. Und die gibt es in Deutschland gefühlt gar nicht. Also mein Züchter, von dem ich die beiden habe, denn es gibt tatsächlich keine Adoptionstiere auf dem Markt, weil kein Mensch dieses Tier kennt. Mein Züchter ist in Würzburg und da hab ich die dann her. Und alles was ich über die Tiere weiß, weiß ich tatsächlich aus dem amerikanischen Raum, weil es in Deutschland auch kaum Infos gibt. Ich war jetzt an der Tierhochschule in Hannover, weil da die einzige vogelkundige Tierärztin ist, die diese Art kennt und behandeln kann. Also gefühlt. Wahrscheinlich gibt’s noch mehrere, aber die einzige in dem Gebiet. Da saß dann auch ein Paar neben mir, die waren aus Cuxhaven. Die sind extra aus Cuxhaven angereist, weil es ab Hannover nordwärts keinen Tierarzt gibt. Und dann hab ich da in der tierhochschuleigenen Bibliothek, bzw. Buchhandlung ist das, ist zum Kaufen, dann habe ich da nachgefragt über ein Buch, weil ich ein bisschen Info über das Verhalten der Vögel haben wollte. Zum Beispiel, welcher Schrei was bedeutet. Klar, vieles lernt man aus dem Alltag, vieles über YouTube, aber ich würde ganz gerne vorbereitet sein, wenn mal, weiß ich nicht, ein Schmerzensschrei kommt und ich merke nicht, dass der Schmerzen hat, weil ich den Schrei nicht kenne. Und es gab kein einziges Buch über Vögel. Und auch bei der Recherche war das letzte Buch, das letzte deutschsprachige Buch, das über diese Vögel veröffentlicht wurde, war von 1986 oder so. Und da hat sich tatsächlich viel verändert in der Zwischenzeit. Was ich ganz gerne in Bibliotheken zum Leihen, nicht zum Kaufen, mache, ist, dass wenn ich mir ein Projekt vornehme, ich sage jetzt, ich will einen Roman schreiben und da geht es dann eben um künstliche Intelligenzen oder so oder um einen Aufstand, weiß ich nicht. Sagen wir einen Putsch in einem Staat, keine Ahnung. Oder Medizin. Irgendwas. Dann suche ich mir ein Thema raus und ich gehe dann in die Bücherei und hol mir da wirklich sechs, sieben, acht, neun, zehn Bücher und gehe dann in so einen Stillarbeitsraum und hab dann wirklich links den großen Bücherstapel. Dann hab ich dazu einen Laptop und was zu schreiben und manchmal auch mein Handy, um etwas abzufotografieren, wenn ich irgendetwas so festhalten möchte. Und dann arbeite ich diese Bücher durch. Also ich bin so eine richtig festbeißende Querleserin. Und ich brauche dann so fünf oder sechs Stunden, an denen ich wirklich nichts mache, außer diese Bücher quer zu lesen. Und ich weiß nicht, woran das liegt, aber ich schlage die Bücher immer auf der guten Seite auf. Ich kriege da super Infos. Ich scanne die Inhaltsverzeichnisse. Ich wühle mich da durch. Und am Ende hab ich dann keine Energie mehr, denn fünf, sechs Stunden, wenn man das macht, dann ist man auch durch mit dem Tag. Aber danach fühle ich mich wie ein riesiger Profi, weil ich das Wissen aus fünf, sechs, sieben Büchern zusammengetragen habe. Und zwar das, was für meine Fragestellung bzw. viel wahrscheinlicher für meinen allgemein definierten Recherche-Bereich, bei dem ich sage, ja, ich möchte mehr erfahren. Mehr nicht, so. Nicht eine bestimmte Frage beantworten. Deshalb geht Google bei mir tatsächlich nicht. Da hab ich dann wirklich so ein kleines Pamphlet und gleichzeitig ganz viele Ideen, wo man das dann in dem geplanten Roman in welchem Kontext irgendwie noch einbauen kann. So als Nett-to-Know Fact oder indem man das einbaut und sich dann mit einem Augenzwinkern denkt, hey, Leserinnen und Leser, die da was drüber wissen, die werden sich freuen, dass dieses Detail da drin ist und yay und cool. Also ich hab manchmal so richtige Bücherei Wutanfälle. Hab ich voll Bock drauf. Ich will mal wieder in die Bücherei. Vielleicht schenke ich mir einen Büchereibesuch zu Weihnachten. Aber bei mir ist natürlich ganz wichtig, dass ich diese fünf, sechs Stunden Sessions an einem geplanten Tag mache. Ich bin hingegen so, wenn ich normal schreibe und dann eine Frage habe, dann erlaube ich mir nur diese eine einzige Frage zu beantworten. Das heißt, da recherchiere ich eigentlich gar nicht, da schlage ich nach. Denn, Recherche ist irgendwann genug und Recherche kann zu viel werden. Wie schützt ihr euch davor, meine lieben Gäste, dass Recherche zur Prokrastination wird und prokrastiniert ihr? Dazu würde ich jetzt gern zuerst Sebastian hören. Wie läuft das bei dir?
S.D. Foik Ich bin erst einmal wie so einen Schwamm, der alle Informationen zu einem Thema aufsaugt, aufschreibt und sie dann auch erstmal ins Buch packt. Ich habe aber auch im Laufe der Überarbeitungsschritte gelernt, einfach unwichtige Sachen herauszufiltern. Also alles, was die Geschichte nicht vorwärts bringt, muss einfach verschwinden. Und deswegen ist alles das, was derzeit in “Ära des Verrats” auch zu finden ist, eigentlich nur noch 20 Prozent von der Rohfassung. Also ich habe sehr, sehr viel im Grunde dann im Zuge der Überarbeitung wirklich konsequent gestrichen. Und ich empfinde, oder habe auch nie Recherche als Prokrastination empfunden. Das war bei mir meistens ein fließender Prozess. Und das, was ich dann halt recherchiert und rausgefunden habe, wanderte erstmal sofort ins Buch und später vieles zu streichen, tat zwar weh, aber wie schon gesagt, es diente halt dem Lesefluss und darauf kommt es ja an. Und ich lasse mich eigentlich in den Schreibphasen aber auch nicht ablenken. Wenn ich im Flow bin, dann, dann schreibe ich auch. Dann bekomme ich schon so eine Art Tunnelblick und dann sind viele Ablenkungen auch nicht so wichtig für mich, also auch gar nicht vorhanden. Also dann schaue ich auch wenig Fernsehen, spiele auch kein Computer oder X-Box mehr, sondern lebe in der Geschichte und versuche alles, also mein gesamtes Leben, darauf auszurichten, um die Geschichte fertigzustellen.
Kia Kahawa Das klingt nach einer Fähigkeit, die sich viele Menschen wünschen. Mich eingeschlossen. Ich hätte das gerne. Ich bin allerdings nur zu diesem Tunnelblick fähig, wenn ich meine Faktoren von außen einfach ausschalte. Und wirklich, ich bin so ein Typ, ich stehe morgens um sechs auf und fange an zu schreiben. Und bevor ich nicht aufgehört habe zu schreiben, darf mich niemand stören. Habe allerdings, wie gesagt, zwei kleine Vögelchen, die mich dann doch stören. Deswegen bin ich da ein bisschen instabil, sage ich mal. Lasst uns mal zu Charles gehen. Lieber Charles, wie sieht das bei dir aus? Wann ist Recherche genug? Wann zu viel? Zu wenig? Und wie sieht das mit der Prokrastination aus? Wie läuft das bei dir ab?
Charles H. Barnes Am Anfang der Recherche steht die ganz konkrete Frage. Ist die beantwortet, bin ich durch. Klingt erst einmal leicht. Ist es nicht immer. Nach spätestens zwei, drei Stunden frage ich mich, brauche ich das Detail für das Buch? Wenn ja, mach ich weiter. Ist ja klar. Aber nach spätestens einem Tag bin ich immer fertig. So oder so!
Kia Kahawa Okay, das klingt ja super diszipliniert und vor allem, als hättest du einen ganz, ganz klaren Plan, was du recherchierst. Liebe Magret, wie sieht das bei dir aus?
Magret Kindermann Wie schon gesagt, irgendwann kommt dann dieser Punkt, an dem man sich dann einfach sagen muss, ich muss mich jetzt entscheiden. Ich muss jetzt überlegen, hab ich, wenn ich mehrere Quellen habe, die nicht das Gleiche aussagen und ich definitiv nicht dahinter komme, dann gibt es immer die Möglichkeit, dass man sich für eine, für eine Wahrheit entscheidet. Und dass man einfach sagt, ich baue mir eine fiktive Realität auf und gehe jetzt einen Weg. Das finde ich vollkommen legitim. Da gibt es sicherlich andere Leute, die wissenschaftlicher Arbeiten und deren Texte auch sehr viel näher an der Realität sind als meine. Die müssen dann anders arbeiten. Aber grundsätzlich gibt es einfach irgendwann einen Punkt, meiner Meinung nach, an dem man sich entscheiden muss. Und als Autorin hat man ja auch die Freiheit und die kann man auch nutzen. Und manchen Menschen ist es vielleicht wichtiger, manchen vielleicht noch weniger. Es gibt sicherlich auch viele Autor*innen, die gar nicht recherchieren und sich einfach alles sofort ausdenken oder mit ihren Ideen einfach mitgehen. Das ist auch okay, finde ich. Also ich persönlich lese schon gerne Bücher, bei denen man merkt, dass Recherche gemacht wurde. Aus den einfachen Gründen, dass die oft sehr viel mehr Details beinhalten, wie zum Beispiel jetzt bei der Tulpologie. Die Frage, ob die giftig sind oder nicht und das in den Einzelheiten hat bei mir tatsächlich dann auch noch für viel mehr Handlung und viel mehr Tiefe gesorgt. Und das hätte ich vorab von mir aus gar nicht auf dem Schirm gehabt, weil ich habe nie darüber nachgedacht, ob Tulpen essbar sind.
Kia Kahawa Und wie schützt du dich davor, dass Recherche zu Prokrastination werden kann?
Magret Kindermann Das Problem hab ich nicht, weil ich, wie gesagt, vom Bauchgefühl her eigentlich relativ schnell merke, wann nicht genug Info habe und genug Input habe. Da bin ich nicht so das Problemkind. Und ich prokrastiniere auch nicht viel. Ich gehöre eher zu den anderen Leuten. Ich übernehme mich ganz gerne mal, indem ich mir nicht genug Pausen lasse und dann muss er/ ich muss mich dran erinnern, dass ich dann einfach mal aufhöre oder auch mal nichts mache und vor allem den Text auch mal ruhen lasse. Der Text sollte definitiv auch mal hingelegt werden, vergessen werden, sodass man weiterleben kann und alles ein bisschen mehr mit Abstand betrachten kann. Und das ist eher meine Baustelle.
Kia Kahawa Wie sieht das bei unserer Julia aus? Wann ist Recherche zu viel? Wann zu wenig? Wie sind da deine Erfahrungen?
Julia von Rein-Hrubesch Ich habe Bücher gelesen, die mich mit Infos und Recherchematerial erschlagen haben. Da würde ich auf jeden Fall weniger bevorzugen als zu viel. Genau. Als schreibender Mensch neigt man natürlich dazu, das weiterzugeben, das Wissen, was man erlangt hat. Es ist ja auch spannend und man findet es toll und Teilen ist ja sowieso immer toll. Wissen teilen oder halt Informationen teilen. Und da muss man aufpassen, dass man Lesende nicht erschlägt damit. Ich würde das auch nicht über das Schreiben stellen.
Kia Kahawa Die Prokrastinationsfrage fehlt noch. Prokrastinierst du viel?
Julia von Rein-Hrubesch Was ist denn das für eine Frage? Die stellt man doch niemanden, der schreibt. Natürlich nicht. Doch, auf jeden Fall. Ja. Gibt’s da jemanden, der mit Nein antwortet? Darauf bin ich echt gespannt.
Kia Kahawa Tja, da wird es bestimmt super spannend, wenn dieser Podcast veröffentlicht wird und Julia ihn auch selber anhört und hört das Magret quasi Anti-Prokrastination betreibt. Ich bin super gespannt, ob sich da noch Gespräche drüber ergeben. Jetzt würde ich ganz gerne von dir, lieber Hörer oder von dir liebe Hörerin, einfach mal in den Kommentaren auf der Patreon Seite, in den sozialen Medien oder wo auch sonst du uns oder mich oder einen von uns erreichen kannst. Ich würde von dir einfach gerne mal hören, wie recherchierst du? Hast du da so Geheimtipps wie Google Scola, habe ich z.B. mal gehört. Was heißt gehört – ich hab’s ziemlich viel im Studium verwendet und tatsächlich auch bei meiner Texter Ausbildung. Und als ich angefangen habe als Texterin zu arbeiten. Also das ist scola.google.com, ungefähr müsste das sein. Ich weiß es nicht genau. Einfach mal googlen. Google wird dich schon darauf hinweisen. Ist von Google selbst. Wie oft kann man Google in einem Satz verwenden? Ich weiß es nicht. Jedenfalls, lass mich doch mal hören, wo du so recherchierst. Und vielleicht finden wir da ja ein paar Anhaltspunkte, wo man sich gegenseitig austauschen kann. Und was mich noch interessieren würde ist, was ist der abgefahrenste Funfact, den du beim Recherchieren rausgefunden hast? Erzähl es uns doch mal am besten in Social Media, tag einen von uns und dann erzähl doch einfach mal. Ja, das war es mit der heutigen Podcastfolge zum Thema Recherche. Ich bedanke mich vielmals bei Charles H. Barnes, Julia von Rein-Hrubesch, S.D. Foik und Magret Kindermann.
In dieser Folge mit dabei:
Charles H. Barnes
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Julia von Rein-Hrubesch
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- D. Foik
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