Der Ton im Internet wird feindlicher

von | 13.02.2019 | 1 Kommentar

Gestern habe ich Nora Bendzko zum Thema Gewaltverherrlichung in der modernen Literatur befragt. Dabei bezogen wir uns auf einen Tweet, den sie aus dem Korrektorat abgesetzt hat. Zum gestrigen Teil des Interviews gelangst du über diesen Link.

Unter dem Tweet fand ich eine Antwort, die deinen Tweet als “mehr als lächerlich von deiner Seite” bezeichnet hat. Ich muss gestehen, mir macht Twitter seit einem guten Jahr immer weniger Spaß, weil ständig irgendwelche Leute solche Kommentare hinterlassen. Egal, worum es geht: Es gibt immer jemanden mit einer konträren Meinung, der die nicht sachlich diskutiert, sondern einfach nur Personen angreift.

Wie sieht das bei dir aus? Macht dir Twitter weniger Spaß?

Oh, das ist dir aufgefallen? Spaß macht so eine Antwort natürlich nicht, aber ich habe sie nicht so ernst genommen. Hier hat mir ja jemand reaktionär geantwortet auf ein Thema, mit dem sie sich offensichtlich nicht auskannte. Das hab ich schon zu oft gesehen online – Expertise absprechen, obwohl man selbst keine Expertise hat. Als ich darauf hingewiesen habe und beim Thema geblieben bin, gab es, wie zu erwarten, keinen Gegenwind mehr. Schlimmer finde ich das Persönliche. Da bezeichnet dich jemand als “absolut lächerlich”, obwohl er dich und dein Feld nicht kennt. So etwas würde man sich nie im echten Leben anmaßen. Richtig schwierig wird es, wenn Leute mich anfeinden. Man muss sich als Frau nicht einmal politisch äußern, um sexistische (und in meinem Fall auch rassistische) Drohungen und Hate Speech an den Kopf geworfen zu bekommen. Ich habe mich schon öfter dabei erwischt, ob ich einen Tweet vielleicht nicht schreiben sollte, weil die Angst vor solchen Reaktionen da war. Es gibt auch Autorengruppen, bei denen ich zögere, gewisse Themen anzusprechen oder Artikel hineinzuteilen. Weil ich weiß, selbst von Kolleg*innen werden Anfeindungen oder “Witze” kommen, die Sexismus, Rassismus und andere Verletzungen reproduzieren.

Ich habe im Vorfeld des Interviews natürlich deine hier verlinkten Tweets gelesen und entsprechend ein bisschen recherchiert. Expertise absprechen – das habe ich neulich auch bei Barbara (@blues1ren) gesehen. Ihr wurde einfach mal ihr komplettes Studium abgesprochen, und auch ich hatte schon einige Kommentare auf dem Blog, ich solle etwas lernen, was der Gesellschaft einen Mehrwert bringt. Völlig ohne Kontext oder Begründung.

Hast du einen Tipp für mich und auch für die Leser des Interviews, wie man mit solchem Gegenwind umgehen kann?

Ich werde jetzt nicht schreiben, dass man ein dickes Fell haben soll. Das wird in der Literaturszene zwar ständig gesagt, aber mal ehrlich: Nur weil die Welt aus abgestumpften A*löchern zu bestehen scheint, muss man nicht selbst eines werden. Seid also wütend im ersten Moment. Heult euch bei jemandem aus, wenn ihr das braucht. Das ist total okay. Wichtig ist nur, dass ihr euch NICHT im Internet ausheult – schon gar nicht öffentlich! Lasst euch nicht auf die persönliche Ebene runterziehen, wo Leute euch mit solchen verbalen Angriffen haben wollen. Bleibt, so sachlich es geht, bei eurem Thema. Erfahrungsgemäß verschwinden die Leute von selbst, wenn sie merken, dass sie euch argumentativ nichts entgegenzusetzen haben. Es gibt aber auch Trolle, die nicht aufhören und es darauf anlegen, persönlich und feindlich zu bleiben. Verschwendet mit denen nicht eure Zeit. Denn die freut nichts mehr, als wenn ihr ihnen wiederholt antwortet. Bevor ihr also zurückschreibt, atmet durch. Überlegt, ob eine oder keine Antwort angebracht ist. Aber vor allem lasst euch nicht hinreißen, selbst an der Schlammschlacht teilzunehmen – seid besser als das. Den Rest schafft ihr ganz sicher.

Danke dir! Ich habe gehofft, dass du keine Dickes-Fell-Antwort gibst. Denn der Tipp hat mir bisher auch nie geholfen. Zwar verschwinden die Trolle bei mir auch nach einer Zeit, aber gefühlt gibt es immer mehr davon. Hast du das Gefühl, Twitter hat sich in den letzten 12 Monaten dahingehend verändert?

Ich bin noch nicht so lange auf Twitter, erst seit August 2016. Aber generell habe ich das Gefühl, dass der Ton im Internet feindlicher wird seit der Wahl von Donald Trump. Ab da gingen die politisch erhitzten Diskussionen so richtig los. Ich glaube, dass sehr unterschätzt wird, wie viel Hetze gezielt auf Social Media betrieben wird. Inzwischen werden Bots regelmäßig für politische Kampagnen eingesetzt, und gerade die Neo-Nazi-Szene ist extrem aktiv im Internet. Hier gibt es Gruppen von Netzaktivisten wie “Reconquista Germanica”, die mehrere 10.000 Mann stark sind und sich taktisch an trendenden Themen, auch außerhalb von Politik, beteiligen, um Minderheiten zu verängstigen, zum Schweigen zu bringen und aus dem Diskurs zu ekeln. Je schneller und größer der Mob, desto eher wird der Mythos der “schweigenden Mehrheit, die zu rechts-konservativ zurückmöchte” erweckt. Das ist Teil einer Strategie. User, die sich ihrer eigenen Position im Diskurs nicht ganz klar sind, werden so zur Enthemmung eingeladen.

Genau das habe ich extrem von Facebook gehört. Vielleicht schwappt das auch einfach rüber. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich das Thema Twitter an dieser Stelle ruhen lassen.

Okay!

Keinen Gegenwind, sondern absolute Zustimmung und einen ganzen Batzen Arbeit hat Janna von “Kejas Blogbuch” geliefert. In ihrem Artikel sagt sie, die Problematik betreffe meist Jugendbücher ab 14, die auch noch nicht durch ein explizites Genre gekennzeichnet seien. Du hast dazu mal gesagt, Romance sei sehr verklärt.

Ich kann mir vorstellen, dass viele Autorinnen und Autoren häusliche und sexuelle Gewalt in ihre Bücher aufnehmen, weil sich solche Themen gut verkaufen. Das wurde vorhin schon bei deinem Beispiel vom Film “Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile “klar.

Aber das kann nicht der einzige Grund sein. Hast du eine Idee, wie so etwas in die Bücher kommt? Böse meinen die Schreibenden es sicher nicht und haben es nicht darauf abgesehen, Menschen zu triggern.

Ich würde hier widersprechen. Bewusst nehmen häusliche und sexuelle Gewalt wohl nur sehr wenige auf, und wenn, dann als Schock- und Voyeurismusfaktor. “Schaut her, ich habe eine explizite Vergewaltigung, wie krass mein Buch ist!” Aber das zählt ja für Romance nicht. Was Autor*innen und Verlage gezielt aufnehmen wollen, weil es sich gut verkauft, sind “Bad Boys” und Pseudo-BDSM. Ich schreibe pseudo, weil es kaum einen Lifestyle gibt, der sexuelle Zustimmung und klar gezogene Grenzen ernster nimmt als BDSM. Viele Bestseller-Titel, die wir hier haben, übergehen aber die Grenzen ihrer Protagonist(inn)en. Hier sehe ich eine Gesellschaft, die, obwohl medial ständig von Sex umgeben, eigentlich unaufgeklärt ist. Gleichzeitig erleben wir viel reale Gewalt um uns, allein durch die täglichen Nachrichten. Irgendwie muss man damit klarkommen – und Schreiben kann da ein Weg sein. Ich selbst schreibe über Gewalterfahrungen, um meine eigenen Erlebnisse von Gewalt zu verarbeiten und für mich und andere begreiflich zu machen. Das kann eine sehr reinigende Wirkung haben. Bei den Beispielen, die wir im Romance-Bereich besprochen haben, geht es aber nicht darum. Kein(e) Liebesroman-Autor(in), die nicht im Fetisch-Bereich schreibt, wird entsprechende Szenen als Gewalt betrachten. Hier geht es um unbewusste Machtdynamiken, mit denen Frauen und Männer immer noch erzogen werden. Dass sofort “Ja” zu sagen bedeutet, eine Schlampe zu sein, und er kein echter Mann ist, wenn er sich nicht durch Gewalt beweist. Sie ist unten, er ist oben, sie ist passiv, er ist aktiv, und so weiter. (Diese Schablone lässt sich aber auch in queeren Geschichten finden.) Solange in unserer Gesellschaft die Sexualität von Frauen beschämt und Männern suggeriert wird, nur Gewalt mache einen “echten Kerl” aus, wird es solche Geschichten geben – auch über Bücher hinaus, in echten Beziehungen.

Oh wow, das ist krass. Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen. Wir sind ständig von Sexualität umgeben, aber dennoch gibt es so viele Tabus. Ich denke da ganz spontan an Abtreibung, Asexualität und der Wunsch nach einem Leben ohne Kinder. In allen Bereichen wird die Frau von vielen Seiten bevormundet; Ich denke, diese Themen werden ein weiteres eigenständiges Interview benötigen.

Lass uns bitte zum nächsten Thema kommen, das perfekt zur häuslichen Gewalt und zu #MeToo passt: Trigger! Denn die Leserinnen und Leser, die Bücher lesen, in denen Gewalt und Machtdynamiken vorkommen, können unter Umständen getriggert werden. Das ist vor allem der Fall bei Büchern, die keine Warnungen oder explizite Genres beinhalten, wie Janna von Kejas Blogbuch das bemängelt hatte. Aber Trigger gehen viel weiter. Das könnt ihr morgen im dritten Teil unseres Interviews lesen.

Foto (c) Radka Klein von Nachtfrost Photography

Wenn Nora Bendzko nicht schreibt, studiert sie Deutsche Philologie in Wien, macht mit einer ihrer Bands die Stadt unsicher oder lektoriert. Der dunklen Seite der Literatur ist sie ebenso verfallen wie schwarzem Tee. Seit 2016 veröffentlicht sie mit den mehrfach preisnominierten Galgenmärchen düstere Fantasy-Adaptionen der Brüder Grimm.

Homepage: norabendzko.com
Facebook: facebook.com/norabendzkooffiziell
Twitter: @NoraBendzko



1 Kommentar

  1. Tom

    > Da bezeichnet dich jemand als “absolut lächerlich”, obwohl er dich und dein Feld nicht kennt. So etwas würde man sich nie im echten Leben anmaßen.
    Aus einer etwas anderen Perspektive betrachtet: Das könnte er über Dich mit denselben Worten im echten Leben zu seinen Kumpels gesagt haben. Der Unterschied online ist nur, dass er einen magischen direkten Draht in eine unsichtbare Wolke hat (Twitter), in dem er genauso spontan reagieren kann wie im richtigen Leben, wenn er mit seinen Kumpels zusammensitzt. Der Hauptunterschied? Im richtigen Leben würde er Dich als echten Menschen wahrnehmen, wenn Du vor ihm stehst, und DANN würde er es nicht sagen — bis Du weg bist, und er mit seinen Kumpeln über die lächerliche Tussi von eben herzieht. Auf Twitter bist Du für ihn nur Teil der täglichen kostenlosen Volksbespaßung, genauso wie ein YouTuber das wäre. Du bist für ihn keine echte Person. Also macht es ihm nichts aus, in Deine generelle Richtung zu furzen, denn nichts anderes ist sein Kommentar.

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