Es geht um Depressionen, Suizidgedanken, Therapie und das BarCamp in Hannover. Wie das BarCamp Hannover das Leben von Markus Bock auf den Kopf gestellt und bereichert hat, hat er in seiner Session „Psyche – Fluch oder Segen?“ erzählt. Vorweg schon einmal der Spoiler: Ich halte den Blogger von verbockt.com für eine inspirierende Persönlichkeit!
Um 11:40 geht’s los auf dem BarCamp in Hannover. Die erste Session am vollen Samstag hält Markus Bock. Ein Vortrag über seine psychische Erkrankung, vielmehr eher über seinen Weg, wie er mit ihr leben kann und trotz dessen auf dem Weg zum Erfolg ist.
Markus hat Dysthymie. Das ist so etwas wie Depression, aber eben nicht ganz Depression. Die Symptome einer Depression sind laut Wikipedia weniger stark ausgeprägt, die Dysthymie verläuft dafür aber chronisch. Es gibt also keine Aufs und Abs, keine depressiven Episoden, die das sonst funktionierende Alltagsleben durchbrechen und niedermachen. Markus Bock beschreibt es als eine Gerade. Dysthymie ist also die Depression mit linearem Verlauf. Es gibt keine guten oder schlechten Phasen. Es gibt nur den permanenten Zustand.
Auf Markus‘ Seite verbockt.com findet man eine Menge Termine. Lesungen und Vorträge. Er hat einen eigenen Podcast und schreibt Blogartikel. Dabei steckt er mitten drin und gibt Informationen ohne Sachlichkeit, Emotionen ohne Polarisation und Methoden ohne Erfolgsgarantie. Kurzum: es geht um Markus himself. Um #verbockt.
Markus und die Dysthymie
Markus erklärt, dass seine Symptome meistens gleich sind. Dazu gehört ein kompletter Verlust von Interesse an irgendwelchen Dingen. Er will im Bett liegen bleiben, hat dieses elende „ich schaff das nicht“-Gefühl, von dem jeder Depressive ein Liedchen singen kann. Nach nur fünf Minuten seiner Geschichte habe ich das Gefühl, dieser Mann spräche mir aus der Seele.
Er hat seine Freunde nicht mehr kontaktiert. Konnte sich nicht einmal arbeitslos melden, so depressiv war er. Rausgehen geht nicht. Man fühlt sich in der eigenen Wohnung gefangen. Angst war dabei nicht das Thema, es ging vielmehr darum, dass der an Dysthymie Erkrankte keine Kraft hatte.
Über Jahre hat er den Auslöser gesucht und ihn später in der Kindheit gefunden. Als erwachsenes Kind alkoholkranker Eltern hat Markus Bock gelernt, zu lügen. Wenn er Mist baute, bekam er Aufmerksamkeit. Er selbst brachte sich nur Aufmerksamkeit für die negativen Dinge seines Lebens auf. Beispielsweise schloss er eine Ausbildung ab. Mit 92 %. Note: 1. Er beschreibt dieses Ergebnis als „richtig verkackt“. Es war nicht wichtig, wie gut er war, sondern wie schlecht er war. Der Fokus lag auf den Fehlern und darauf, wie er die fehlenden 8 % zur 100 verbockt hat.
Hier empfinde ich viel Respekt für Markus. Er kann, bzw. konnte mehr als ich; ich habe das nicht durchgestanden. Meine Ausbildung war eine solche Qual für mich und meine Depression äußerte sich in einer langen und schweren Episode, die allerdings im Nachhinein wieder abgeklungen war, aber ich kam nicht zurecht. Auf dem Barcamp in Hannover spricht also ein Mann zu mir, der in dieser Sache mehr auf dem Kasten hat als ich, trotz schwerer Erkrankung.
Trotzdem dominierte der Selbsthass.
Aus Kritik wird Abwertung.
Zwei Suizidversuche.
Freunde haben sich nicht gemeldet. Es gab die Erwartung, dass sie sich wundern würden. Sie würden sich denken: „Da stimmt doch was nicht“ und nach seinem Befinden fragen, sich mal wieder melden. Aber Fragen nach dem Ergehen hat Markus mit „gut“ beantwortet. Absagen mit fadenscheinigen Begründungen ausgesprochen und sich zurückgezogen.
Nach außen hin wirkt es immer anders, als es wirklich ist. Das denke ich persönlich und sehe endlich mal, dass es noch jemanden gibt, der die gleichen Erfahrungen gemacht hat.
Selbst als sich Markus vor den Zug legen wollte, war das Misslingen dieses Selbstmordversuchs sein „Fehler“. Der Zug kam nicht, und es war ganz praktisch gesehen nicht sein Fehler. Dennoch schwirrten da die Gedanken: „Ich bin ein zu großer Versager, um mich umzubringen.“ Wir können froh sein, dass der Zug nicht kam und Markus Bock noch am Leben ist.
Aufschwung nach der Abwärtsspirale
Das klingt alles grausam, und man kann sich beim Lesen dieses Artikels kaum vorstellen, wie ein Mensch da rauskommen sollte. Doch es gab einen Lichtblick. Dieser leuchtete vor zwei Jahren bei Twitter auf.
Markus twitterte, er würde über seine Geschichte und das Thema im Allgemeinen gerne mal vor anderen Menschen sprechen. Referate halten konnte er aber nicht. Präsentationen waren schon immer eine extreme Belastung. Vor anderen Menschen sprechen ging einfach nicht. Heute macht er es aber. Und seine Session am 26. Mai hielt er, als habe er eine Menge Erfahrung und keinen Funken Nervosität.
Auf Twitter meinte schließlich jemand zu ihm: „Geh doch zum Barcamp.“
Die erste Reaktion war: „Da passe ich absolut nicht rein.“ Natürlich hatte Markus Angst. Hemmungen. Scheu. Aber Theresa und Rene, die Organisatoren des BarCamp Hannovers, haben ihn überzeugt, doch noch zu kommen.
Nach seiner ersten Session war Markus fertig mit der Welt. Komplett durchgeschwitzt und völlig kaputt. Heute, wie er so vor mir steht und die Session macht – der Raum ist total voll –, kann ich mir das kaum mehr vorstellen. Markus hat es einfach gemacht und dadurch hat sich sein Leben verändert. Er hat sich selbst etwas gesagt, was wir uns alle jeden Tag sagen sollten:
Sag niemals, du kannst etwas nicht. Probier erst aus, ob du es wirklich nicht kannst. Durch das Ausprobieren lernst du, ob du etwas kannst oder nicht und überwindest dabei deine Angst.
Heute bloggt Markus seit fünf Jahren. Er macht aus seinen Notizen Leseabende, die er selbst organisiert. Sein Buch wird im September veröffentlicht. Und da setzt dieser Powermensch noch einen drauf: „Bis August möchte ich das, was ich hier tue, zum Beruf machen“.
Er möchte präventiv arbeiten. Jugendlichen seine Geschichten weitergeben. Er hat den Mut, Geschichten zu erzählen, und den möchte er weitergeben. Dabei ist es ihm wichtig, das Eltern-Kind-Thema weiterzugeben. Kinder fühlen sich schuldig, wenn etwas nicht stimmt. Sie wollen, dass es ihren Eltern gut geht. Markus Bock möchte Räume zum Reden schaffen. Dazu gehören natürlich auch Zeiträume.
Es kann viel bewirken, einfach mal Nachsicht zu fordern.
Seid nicht mehr zickig.
Redet mal miteinander.
Nimm die Verantwortung selbst in die Hand!
Es geht beim BarCamp nicht darum, vor 50 Leuten zu sprechen. Auch nicht, vor zehn oder fünf Leuten zu sprechen. Es geht darum, dass man über etwas spricht. Egal, wie viele Leute in einem Raum sitzen: Es geht darum, einfach mal über das zu sprechen, was einen bewegt. Diese Meinung vertritt auch Markus Bock.
Problematisch am ganzen Bloggen und der Offenheit: Arbeitgeber finden ihn durch seine E-Mail-Adresse. Sie finden seinen Blog und seine Geschichten. Das kann man als etwas Negatives auffassen, und ich weiß genau, in der Branche, in der ich meine Ausbildung gemacht habe, würde man jemanden wie Markus oder mich sofort aussortieren. Letzten Endes hieß es bei mir im Dezember 2016 auch nur: „Gestörte wollen wir nicht!“, als ich meine Depression vertrauensvoll gegenüber der Ausbilderin geoutet habe und dann in hohem Bogen mit fristloser Kündigung, Gerichtsverfahren und allem drum und dran aus dem Beruf geschmissen wurde. Dafür bin ich im Nachhinein dankbar, und ich glaube, Markus wäre es auch, wäre er an meiner Stelle. Denn er sieht das Ganze etwas anders:
Er will, dass ein Arbeitgeber seinen Namen recherchiert. Er will für Menschne arbeiten, die hinter den Lebenslauf gucken. Die nicht nur Fakten gucken. Manche Personaler – und das sind die Guten! –, wollen wirklich fördern und suchen Talente. Sie sprechen mit den Leuten. Herr Bock bewirbt sich nicht einfach, er sucht sich einen Arbeitgeber aus und fragt direkt nach, was er tun muss, um für die Firma arbeiten zu können.
Auch beim Arbeitsamt entschied er sich. Als er im Arbeitsamt gefragt wurde, was er auf keinen Fall machen würde, antwortete er, dass er niemals in einem Callcenter arbeiten möchte. Sofot bekam er natürlich Vermittlungsvorschläge für Callcenter. Dann ruft er einfach an und fragt, was er machen soll, damit er die Stelle nicht kriegt. Markus entscheidet selbst.
Er entscheidet auch, keine Antidepressiva zu nehmen.
Er entscheidet, mit Sport gegen seine Symptome vorzugehen. Bewegung hilft bei Depressionen, das ist ganz wichtig – um mal Tobi Katze und etwa 1296 Ratgeber-Artikel und 84 Ärzte mit einem Satz zu zitieren. Markus fährt Fahrrad. Und zwar so sehr, bis die Beine brennen. Es ist kein einfacher Skill mehr, sondern eine Waffe. Und das sind meiner Meinung nach sehr starke Worte.
Früher hat Markus Bock geschauspielert, dass er zurechtkommt. Heute kommt er zurecht. Er ist weiter gegangen und hat sich entwickelt.
Es ist hart.
Und Arbeit.
Aber Markus Bock hat die Verantwortung für sein Leben übernommen und gibt nicht auf.
Den Blog dieser inspirierenden Persönlichkeit findest du auf www.verbockt.com und bei Twitter kannst du ihm über @verbockt folgen.
Alles Liebe,
Kia
Liebe Kia,
einen Riesendank für deinen Beitrag. Markus’ Session lag leider parallel zu meiner. Und wir haben uns gegenseitig schon versichert, dass das doof war 😉
Nun konnte ich dank deines Postings doch noch daran teilnehmen. Quasi. Und nächstes Jahr planen wir die Sessions so, dass Markus und ich uns gegenseitig zuhören können!!
Für dich und Markus und alle gibt es ein 4-seitiges PDF mit ein paar Sketchnotes-Tipps (die Präse vom Kurzworkshop hat allerdings 15 Seiten, die rück ich aber nicht raus ;-)): https://sketchnotes-hamburg.de/wp-content/uploads/2018/05/Workshop2018HandOut.pdf