Eine der ersten „Regeln“, die jungen Schriftsteller*innen begegnet, ist „Show don’t tell“. Mit den meisten „Regeln“ beim Schreiben ist es so, dass es sich eher um Richtlinien handelt, an die man sich nicht zwingend halten muss. „Show don’t tell“ bildet dabei eine Art Ausnahme: Man muss sich auch an diese „Regel“ nicht halten, aber sie ist ein guter Wegweiser, um Leser*innen in die Geschichte zu ziehen. Was „Show don’t tell“ genau ist und wie du es anwendest, erkläre ich dir in diesem Artikel.
Schwer zu verinnerlichen
„Show don’t tell“ ist eine schwierige Regel. Anfänger können daran verzweifeln, aus Beschreibungen Darstellungen zu machen und so manch einer hat schon eine Schreibblockade bekommen, weil sie sich im Kreis drehen.
Der erste Schritt sollte es sein, dir möglichst viele Beispiele und unterschiedliche Auffassungen von „Show don’t tell“ durchzulesen. Wie bei allem anderen, gibt es auch hier nicht die eine allumfassende Wahrheit. Je mehr du liest, desto besser kannst du schreiben. Das gilt nicht nur bei belletristischen Werken, die passive Art und Weise deinen Wortschatz und deine Sprach-Gelenkigkeit erhöhen. Auch Schreibratgeber und Tipps helfen dir dabei, dein Schreiben zu verbessern. Da jede Geschichte einzigartig ist und jede*r Schriftsteller*in unterschiedliche Stile, Ausdrücke, Macken und Vorlieben in seine Texte einfließen lässt, wird es niemals jemanden geben, der die einzig wahre Patentlösung anbieten kann.
Anfängerfehler
Autor*innen, die gerade erst mit dem Schreiben beginnen und ihre Manuskripte noch niemanden lesen lassen, machen häufig Anfängerfehler. Sie orientieren sich bestimmt an den Büchern, die sie gerne lesen, aber ihnen fehlt die Kritik und das Feedback anderer Autor*innen und Leser*innen.
„Show don’t tell“ ist dabei einer der größten Stolpersteine. Eine Person wird beschrieben und dabei der Charakterbogen wie beim Bingo abgearbeitet. 5 Details im Satz untergebracht? BINGO! Die Leser*innen werden schlicht mit Haarfarbe, Kleidung und Charakter konfrontiert.
Das ist zwar gut gemeint und gerne auch mal detailreich und mühevoll geschrieben, weshalb viele Autor*innen ihren riesigen Fehler nicht bemerken.
Durch das Erzählen einer Handlung malst du Bilder im Kopf deiner Leser*innen. Stell dir vor, diese Bilder seien die einzelnen Bilder eines Storyboards bei der Planung eines Films. Welche Perspektive nehmen die Leser*innen ein?
Sollen sie mitten im Geschehen stecken und miterleben, mitfühlen und mitfiebern? Oder sollen sie hinter einem Monitor im Überwachungsraum sitzen und die Handlung durch eine Überwachungskamera wahrnehmen?
Ich vermute mal, du willst deine Leser*innen mitten in der Geschichte fangen, sodass sie dein Buch kaum aus der Hand legen können.
Je mehr du beschreibst, desto distanzierter ist der Autor. In beschreibenden Szenen ist es völlig egal, welche Handlung vor oder nach der Beschreibung kommt. Der innere Film im Kopf deiner Leser*innen wird angehalten und der Beschreibung Platz gemacht.
Die Auswirkungen von „Tell don’t show“
„Sie hatte mittellange Haare. Ihre Glupschaugen ragten ein wenig hervor, weshalb ihr Gesicht insgesamt ziemlich klein und rundlich aussah. Sie trug eine blaue, enge Jeans und ein zerlottertes Oberteil aus dem letzten Jahrtausend. Ihre Augen waren smaragdgrün und ihr Atem roch nach Kaffee und Zigaretten.“
Diese Beschreibung ist komplett austauschbar. Wir wissen nicht, was hier passiert oder wer diese Person ist. Nutzen wir dieses Beispiel mal in einem Text:
Die Vertretungslehrerin betrat den Raum. Alle Schüler hielten den Atem an, als die Dame an uns vorbeistolzierte. Sie hatte mittellange Haare. Ihre Glupschaugen ragten ein wenig hervor, weshalb ihr Gesicht insgesamt ziemlich klein und rundlich aussah. Sie trug eine blaue, enge Jeans und ein zerlottertes Oberteil aus dem letzten Jahrtausend. Ihre Augen waren smaragdgrün und ihr Atem roch nach Kaffee und Zigaretten. „Mdme. Bellaux“, schrieb sie an die Tafel.
Oder wie wäre es hiermit?
Sie waren überall. Die Zombies umzingelten unser Lager und ich dachte schon, ich müsste sterben. Nirgends konnte ich mich und meine Tochter verstecken. Mein Herz pochte bis zum Hals, als mich ein Zombie von hinten packte. Die hässliche Kreatur wollte mir gerade das Gesicht abreißen, als sie plötzlich zusammenbrach. Petra, von der alle immer gesprochen hatten, stand mit einem Revolver in der Hand vor mir. Sie hatte mich gerettet. Sie hatte mittellange Haare. Ihre Glubschaugen ragten ein wenig hervor, weshalb ihr Gesicht insgesamt ziemlich klein und rundlich aussah. Sie trug eine blaue, enge Jeans und ein zerlottertes Oberteil aus dem letzten Jahrtausend. Ihre Augen waren smaragdgrün und ihr Atem roch nach Kaffee und Zigaretten.
Wir wissen nichts Relevantes über diese Personen. Es kann in diesem Fall von „Tell don’t show“ alles möglich sein. Es ist komplett austauschbar.
Was kann „Tell don’t show“ also?
- Szene pausieren, dann beschreiben
- Personen austauschbar wirken lassen, da auch „Tell don’t show“ austauschbar ist
- Irrelevante Details im Text behalten
- Protagonisten Details wahrnehmen lassen, die gar nicht wahrnehmbar sind
Wie „Show don’t tell“ die Qualität heben kann
Beide oben stehenden Beispiele enthalten die Beschreibung der Frau. Ob nun Petra oder Mdme. Bellaux, die Beschreibung an sich ist wie der Blick durch eine Überwachungskamera. Sie sagt den Leser*innen nichts, außer dem, was dort geschrieben steht. Zwischen den Zeilen ist so viel mehr machbar, wenn man „Show don’t tell“ anwendet und die Äußerlichkeiten, die zu beschreiben sind, für sich arbeiten lässt.
Wie wäre es im Fall der Lehrerin zum Beispiel mit folgender Szene?
Die Vertretungslehrerin betrat den Raum. Ihre riesigen Glupschaugen suchten sofort meinen Blick. Ich nahm eine Prise von Kaffee und Zigaretten wahr, als die Dame an uns vorbeistolzierte. Die enge Jeans ließ alle Schüler den Atem anhalten. „Mdme. Bellaux“, schrieb sie an die Tafel. Der gehobene Arm ließ ein Stück Haut unter ihrem zerlotterten Oberteil, das aus dem letzten Jahrzehnt stammen musste, hervorblitzen.
Die Beschreibung versteckt sich nun in einer Handlung und ist mit Reaktionen und Emotionen versehen.
Der Teufel im Detail
In dieser umgeschriebenen Szene sehen wir nun nicht mehr die enge Jeans und das zerlotterte Oberteil von außen, sondern fühlen, wie die Schüler beim Anblick des Pos in der engen Jeans den Atem anhalten und wir merken, dass die Haut unter dem zerlotterten Oberteil wohl wunderschön sein muss. Eine Granate von Vertrauenslehrerin verdreht hier pubertierenden Schülern den Kopf. Wir können hier nicht mehr einfach mit Copy & Paste eine andere Szene drum herum bauen.
Was ist hier also geschehen?
- Mehr Details in der Bewegung/Handlung
- Beschreibung in Handlung verwoben
- Irrelevantes rausgefiltert
- Interaktion mit Protagonist, ohne die Handlung zu verändern
Aber auch im Zombie-Beispiel können wir die austauschbare Beschreibung mittels „Show don’t tell“ in die lebendige Szene integrieren. Anders als beim Lehrer-Beispiel taucht die zu beschreibende Person hier nicht zu Beginn der Szene auf. Es geschieht zuvor entscheidendes. Hier ist es etwas schwieriger, „Show don’t tell“ anzuwenden, da wir Beschreibung und Handlung nicht ineinander flechten können.
Es muss nicht immer ein Antrieb da sein
Ohne die Geschichte voranzutreiben, kann man allerdings die Beschreibung mit Handlung füllen und dabei authentischer und einzigartiger sein.
Sie waren überall. Die Zombies umzingelten unser Lager und ich dachte schon, ich müsste sterben. Nirgends konnte ich mich und meine Tochter verstecken. Mein Herz pochte bis zum Hals, als mich ein Zombie von hinten packte. Die hässliche Kreatur wollte mir gerade das Gesicht abreißen, als sie plötzlich zusammenbrach. Der laute Schuss hat mich zusammenzucken lassen. Keuchend nahm ich die Hände vom Gesicht und sah eine schlanke Gestalt, die in Heldenpose vor mir stand. Es war Petra, von der alle immer gesprochen hatten. Die Frau mit den riesigen Augen stand mit einem Revolver in der Hand vor mir. Ihr Haar umspielte die Schultern, als sie den Qualm, der aus dem Revolver kam, wegblies. Sie hatte mich gerettet. Ihr Geruch von Kaffee und Zigaretten erinnerte mich an die Zeit, in der es nicht nötig war, Untote über den Haufen zu schießen, um abends zeitig ins Bett zu kommen.
Die Handlung wurde nach dem Prinzip „Tell don’t show“ zuvor pausiert. Die Szene beginnt aber mit „Sie waren überall“. Wenn überall Zombies sind und du gerade von einem angefallen wurdest, betrachtest du nicht ein Gegenüber in dieser Ausführlichkeit.
Durch das Ausblasen des Revolvers und das Herunternehmen der Hände, die vorher vor dem Gesicht waren, wird die erzählte Zeit in Zeitlupe versetzt. Direkt danach kann man glaubwürdig mit den weiteren Zombies fortfahren, die noch immer von allen Seiten kommen und darauf warten, etwas in dieser Geschichte zu tun zu haben.
Was ist hier also geschehen?
- Deutlich mehr Details in der Handlung
- Handlung wird nicht pausiert, sondern in Zeitlupe versetzt
- Irrelevantes rausgefiltert
- Wahrnehmung des Protagonisten ist realistisch und hat einen Zusammenhang
Was fällt uns auf?
Ich habe noch nie die Augenfarbe einer Lehrerin gesehen, die in den Klassenraum hineinkommt. Sie ist zu weit weg. Auch, wenn dir jemand mit einer Waffe gegenübersteht und dir gerade das Leben gerettet hat, bist du nicht nahe genug, um die Augenfarbe wahrzunehmen. Daher sind die smaragdgrünen Augen in beiden Fällen irrelevant.
Auch war in der Beschreibung der Dame zunächst von Mundgeruch nach Kaffee und Zigaretten die Rede. Hier sollte man aber meiner Meinung nach den Leser*innen mehr Interpretationsspielraum geben. Wenn die Jacke nach Kaffee und Zigaretten riecht, macht das einen so großen Unterschied? Ob die Person nun aus dem Mund oder über ihre Kleidung einen bestimmten Geruch abgibt, ist vollkommen irrelevant. Wichtig ist, dass der Geruch etwas mit dem Protagonisten (also auch mit dem Leser) macht. Weckt er Erinnerungen? Stinkt der Geruch? Ist der Geruch verführerisch? Das muss nicht sofort in die Szene einfließen. Im Gegenteil. Im Zombie-Beispiel habe ich sofort die Erinnerung eingebaut, weil sie sich angeboten hat. Beim Lehrerin-Beispiel habe ich den Geruch nur erwähnt und kann ihn später wieder verwenden oder den Leser*innen ihre eigene Meinung zum Geruchserlebnis lassen.
Die zehn Gebote von „Show don’t tell“
- Enthülle Charaktere durch ihre Handlungen
- Gehe ins Detail
- Wecke Emotionen des Lesers
- Arbeite mit Interaktionen und Reaktionen
- Streiche alles, was irrelevant ist
- Streiche alles, was nicht in der Handlung wahrnehmbar ist
- Sprich die Sinne (riechen, fühlen, schmecken …) an!
- Verflechte Handlung in Beschreibung
- Lass niemals die Handlung pausieren
- Nutze Dialoge
Mit diesen zehn Geboten machst du einen großen Schritt in Richtung „Show don’t tell“.
Zum Thema „Show don’t tell“ gibt es zahlreiche Artikel im Internet und Schreibratgeber. Am besten lernst du es aber natürlich wie alles andere: Wende es an! Mit der Zeit wird es dir immer leichter fallen. Hast du diese „Regel“ bereits verinnerlicht oder hast du noch Probleme mit der Umsetzung?